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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

haben zu wollen – „aus lauter schnödem, unverfälschtem Egoismus vielmehr, Anna – denn daß ich ’mal einen ganzen Abend auf dem schnurgeradesten Wege dazu war, mich in Sie zu verlieben, das wissen Sie doch ganz genau! Nein, schütteln Sie nur nicht den Kopf! Denken Sie ’mal an den Abend, wo der Mond schien und Sie die deutschen Lieder sangen. Damals habe ich schon gedacht: ,wie schön wäre es, wenn sie mir in China so, Abend für Abenh ein Paar Lieder vorsänge‘ – aber da habe ich den Gedanken weit fortgeworfen, denn da ging es ja doch gar nicht, daß ich ihn ausspinnen durfte. Und wenn wir nun wieder hier zusammen kommen – wie zusammen geführt, Anna, am Anfang und am Ende meiner Heiratsfahrt – und mir alles so klar wird – und wenn Sie mich wirklich eher lieb gehabt haben als ich Sie – so wahr mir Gott helfe! – jetzt habe ich Sie auch lieb – und warum soll es denn nicht auch einmal anders in der Welt hergehen beim Verloben als alle Tage?“

Sie schwieg, aber schüttelte noch immer den Kopf.

„Nun, Anna?“ drängte er.

„Und wenn ich es thäte,“ sagte sie leise – „ich sage nicht, daß ich, es thun will – aber wenn: da würden alle Leute sagen, Sie hätten mich nur aus Aerger genommen, weil Binchen Sie nicht gemocht hat!“

Er sah ihr lachend ins Gesicht.

„Nun, Anna – und wenn wirklich hier in Deutschland ein Paar alte Klatschbasen so etwas sagen – meinen Sie, daß Sie das in China sehr anfechten wird? Schreiben wird’s uns wohl keine dahin! – Nein, mit solchen Gründen wollen wir uns das Leben, nicht schwer machen – die lasse ich gar nicht gelten.“

Er hielt ihr die Hand hin und sah sie mit seinem gutmütigsten Schelmenblick an. „Nun, Annchen? Darf ich das Klavier kaufen?“

Und sie schlug unter Thränen lachend ein und sagte dann ganz leise: „Siehst Du, ich habe es mir immer vorgesagt in der ganzen langen schweren Zeit, wo Du Dich gar nicht um mich kümmertest – ‚wenn der liebe Gott es will, kriegst Du ihn doch noch‘ – und nun hat er es gewollt!“

„Du gutes Mädchen!“ sagte er ernst und gerührt.


Meine Geschichte wäre nun wohl mit der Verlobung zu Ende, wie es einer richtigen Geschichte zukommt.

Aber ich muß doch noch erzählen, daß Karl Thiessen es unter Aufbietung aller Möglichkeiten und Unmöglichkeiten fertig bekam, einen Ersatz für Annchen in ihrer nun doch einmal angenommenen Stellung zu gewinnen; daß die Frau Verwalterin die Freuds erlebte, Brautmutter spielen und die glänzende Hochzeit des jungen Paares in Berlin anordnen zu dürfen und als Hauptperson schon an der Hochzeitstafel probierte, sich einzureden, sie habe die beiden eigentlich zusammengebracht. Und jetzt glaubt sie’s schon so fest, daß es ihr niemand mehr abstreiten kann!

Kürz darauf dampften Karl und Anna zusammen nach China ab und sind dort ein sehr glückliches Paar geworden.

Wer noch etwas von Steuerrats Binchen wissen will, dem sei mitgeteilt, daß sie einen recht vermögenden Kaufmann geheiratet hat, der aber verlangt, daß seine hübsche Frau an besonders beschäftigten Tagen selber hinter den Ladentisch tritt und Zucker und Kaffee für die Kunden abwägt. Ob sie da manchmal mit einem Seufzer an Karl Thiessen und an China denkt, das weiß ich nicht – bin auch viel zu diskret, um danach zu fragen.

Karl Thiessen und seine Frau sind übrigens vor kurzem mit einer Schar prächtiger Jungen wieder in Deutschland gewesen.

Das ehemalige Annchen Braun scheint jetzt ganz beruhigt darüber zu sein, daß sie einst „als Retourbillet“ geheiratet worden ist, und sieht hübscher und jünger aus als in ihrer Mädchenzeit.

Ich kann es mit gutem Gewissen versichern, denn ich habe sie selbst gesehen.


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Modefarben.

Plauderei von R. Braun.

Auszeichnungsbedürfnis und Nachahmungstrieb, diese beiden tief in der Menschennatur begründeten Reize haben die Mode erschaffen und halten sie durch ihr abwechselndes Eingreifen in stetem Fluß. Deshalb ist der Kampf gegen den Modewechsel von jeher aussichtslos gewesen: dieser vollzieht sich ganz gesetzmäßig von selbst, wenn auch manchmal äußere Ereignisse zum Anlaß plötzlicher Modeneuheiten werden. Besonders knüpfen neu auftauchende Modefarben mit Vorliebe an hervorragende Persönlichkeiten, ihre Eigenschaften und Liebhabereien an, wie sowohl die Neuzeit, als die vergangenen Jahrhunderte zeigen.

Vom grauen Altertum freilich fehlen uns die Beispiele; wir wissen nicht, nach wem sich die erste Modefarbe der Welt, der dunkle phönizische Purpur, nannte, dessen Kostbarkeit ihn zum ausschließlichen Eigentum der Reichsten und Vornehmsten im Umkreis des Mittelmeeres machte. Seine unverwüstliche, herrliche Leuchtkraft bezeugen die alten Schriftsteller einstimmig, wenn auch keine Kunde von der Art erhalten ist, durch welche die großen lyrischen Färbereien den Saft der Purpurschnecke gewannen und ausnutzten.

Wenn Wir nun im Purpur die begehrteste Farbe des Altertums erblicken, so können wir uns der Einsicht nicht verschließen, daß der Scharlach, d. h. ein ins Gelbe spielendes Hellrot, das aus Karmoisinrot mit etwas Citronengelb gemischt zu sein scheint, die vornehmste Modefarbe des Mittelalters gewesen ist. Auch der Scharlach stammt aus dem Orient und ist von den Kreuzfahrern mit heimgebracht worden. Neben dem hauptsächlich aus den Niederlanden eingeführten Scharlachtuch war Gold, d. h. die köstlichen, mit Gold durchwirkten orientalischen Seiden-Brokate und Siglate, der Hauptbegehr der mittelalterlichen Frauen. Bis zum 13. Jahrhundert waren sie hauptsächlich als Geschenke aus Byzanz oder dem weiteren Morgenlande an die Fürstinnen gelangt, von da ab wurde Venedig der Stapelplatz dafür, und bald erstanden auch in Italien Fabriken, welche die orientalische Goldweberei mit vielem Glück nachahmten. Auch ein pfauenblau schillernder Seidenstoff (Pfaoin) wurde von dort nach Deutschland eingeführt, der sich einer großen Beliebtheit bei höfischcn Frauen und Minnesängern erfreute.

Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts griff die Revolutionsepoche, die Zeit des schlanken griechischen Ideals, auf das weiße Kleid zurück, weil es die Gestalt vergrößert. Eine Modedame wie Madame Tallien besaß Dutzende von weißen Musselingewändern, auch Josefine Beauharnais zeigte ihre graziöse Gestalt mit Vorliebe in solchen, selbst der so wenig ästhetisch veranlagte Bonaparte stand dermaßen im Banne dieser Farbe, daß er gelegentlich sagte, er kenne nichts Entzückenderes als eine Abendlandschaft mit dunklen Bäumen, unter welchen eine schlanke weißgekleidete Frauengestalt hinwandle. Auch in Deutschland herrschte das weiße Kleid unumschränkt, wie die Bilder der Königin Luise und vieler anderen jugendlichen Fürstinnen bezeugen.

Bis in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein hielt sich die Vorstellung von der Zusammengehörigkeit weiblichen Jugendreizes mit dem weißen Gewand, dann verschwand dieses allmählich, sogar aus dem Ballsaal, vor der in den siebziger Jahren gründlich zur vollen Alleinherrschaft gelangten Modefarbe Crème. Sogar das bräutliche Gewand vor dem Altar fiel vom Schneeweiß zur Elfenbeinfarbe ab. Aber neuerdings hat sich die Mode gelegentlich ihrer Rückkehr zu den „Récamier-Formen“ auch auf den alten erprobten Effekt „Weiß“ besonnen: die großen Frühlingsrennen von Auteuil und Longchamps entfalteten vor einigen Jahren zuerst wahre Symphonien von Weiß, und seitdem sehen auch wir unsere jungen Mädchen wieder in sommerlichen Musselingewändern, deren Faltentaille und halbkurze Aermel an die Jugendzeit der Großmama erinnern, während die lichten Seidenbänder des Ausputzes weiter zurückgreifen und die alten verschollenen Rokokofarben Seladongrün und Bleu mourant (der deutschen Zunge als „blümerant“ mundgerecht gemacht) wieder zu Ehren bringen.

Aber der vor hundert Jahren allverbreitete wertherblaue Frack will nicht wieder erscheinen, und der vor einigen Jahren mit dem Hochdruck vereinigter Schneiderkräfte eingeführte scharlachrote ist vereinzelte Gigerltracht geblieben. Die moderne Männerwelt läßt sich offenbar aus der bequemen Billigkeit ihrer vom Schwarz bis ins Hellgrau reichenden Farbenskala nicht mehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 890. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_890.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2024)