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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

dieser Umstand nicht ohne Bedeutung war für die ganze Entwicklung des Spieles und weil er mit die Ursache bildet, daß das Spiel mit der Zeit einen ganz sportlichen Charakter angenommen hat. Die Unterhaltung ist nicht mehr ganz harmlos. Bei einer Niederlage handelt es sich nicht mehr bloß um die „Ehre“, es sind da oft auch empfindliche Verluste zu gewärtigen. Diese Erkenntnis hat aber dann ein ernstes, regelrechtes Training und im Anschluß daran eine hohe Vervollkommnung im Spiele zur Folge. Thatsächlich wäre es für einen Wintertouristen, der zufällig Zeuge eines solchen Kampfes ist, ein ziemlich kühnes und recht aussichtsloses Unterfangen, gegen die eingeschossenen Spieler in Wettbewerb zu treten.

Das Wesen des Spieles wird durch unser Bildchen ganz klar erläutert. Es handelt sich darum, die schwere Holzscheibe mit mächtigem Schwung in vorgeschriebener Richtung möglichst weit über die Eisfläche hingleiten zu lassen. Nicht immer ist es aber damit abgethan, und häufig wird das Spiel auch so eingerichtet, daß neben der Kraft und Geschicklichkeit des Armes auch die Sicherheit des Auges den Ausschlag giebt. Es wird dann ein sichtbares Ziel gesteckt, und es gewinnt nicht, wer am weitesten wirft, sondern wer dem Ziele mit seinem Wurfgeschoß am nächsten kommt. Dieses Bauernspiel hat aus den österreichischen Alpenländern seinen Weg auch nach England, dem Mutterland allen Sports, gefunden, ist aber dort kein Bauernspiel mehr, sondern ein Sport für die Herren. In England ist der Griff des Wurfgeschosses noch etwas mehr gebogen, und dadurch soll die Möglichkeit geboten sein, dem Wurf auch „Fälschung“ zu geben, in dem Sinne, wie ein Billardball „falsch“ genommen wird. Diese Fälsche soll dann sich darin äußern, daß die Scheibe in der Nähe des Zieles noch eine bogenförmige Schwenkung macht, die den Zweck hat, die gegnerischen Scheiben zu umfahren und unter Umständen zu verdrängen.

Eine gewisse Verwandtschaft mit dem „Eisschießen“ zeigt das „Eisbosseln“ oder „Klootschießen“ (vgl. „Gartenlaube“ 1883, Nr. 4), wie es bei den schleswig-holsteinschen Marschbewohnern gebräuchlich ist, nur daß es uns noch volkstümlicher, unterhaltender und auch aufregender erscheint. Sind die Marschen festgefroren – bei Tauwetter läßt sich nicht bosseln – so sendet die Mannschaft eines Dorfes der des Nachbardorfes eine „Bossel“ zu, eine bleiausgegossene Holzkugel, die ungefähr ein Pfund wiegt. Das ist die Herausforderung, und nun beginnt das Training. Die Mannschaften sind nach Umständen und Verhältnissen je dreißig bis hundert Mann stark. Es wird beiderseits mit großem Eifer geübt, denn die Ehre des Dorfes ist engagiert. Kommt es dann an einem vorher bestimmten Sonntage zum Kampfe, dann wirft abwechselnd je einer aus den beiden Mannschaften eine Bossel. Die Kugel fliegt erst durch die Luft, es wird aber auch die Strecke gemessen, die sie noch nach dem Aufschlagen auf dem gefrorenen Boden dahinrollt. Diese Strecke kann eine sehr erhebliche sein, wenn die Vorteile des Terrains, eine Furche oder ein gefrorener Graben, geschickt ausgenutzt werden. Versieht es ein Werfer oder ist er überhaupt nicht geschickt genug, dann bleibt die Kugel, gerade durch den Rand der Furche oder den Damm des Grabens aufgehalten, vorzeitig stehen. Natürlich kommt auch darauf viel an, daß der Spieler mit seinem Wurfe immer in der vorgeschriebenen Richtung bleibe. Eine Abweichung von dieser bedeutet Terrainverlust und somit Nachteil für die eigene und Vorteil für die gegnerische Partei. Jeder derartige Fehler erregt große Erbitterung im eigenen Lager und der unglückliche Spieler setzt sich von seiten seiner Leute schweren Vorwürfen aus, die Gegenpartei allerdings frohlockt und läßt es, was nicht minder bitter ist, an spöttischen und höhnischen Bemerkungen nicht fehlen. Um sicheren Stand zu haben, pflegen die Kämpfer vor dem Wurfe ihre Fußbekleidung abzulegen. Von der Stelle aus, wo die Kugel liegen geblieben ist, erfolgt der nächste Wurf, und so geht es Wurf um Wurf meilenweit ins Land hinein, bis dann in der Mitte des Spieles gewendet wird nach der Richtung der Aufbruchsstelle. Hat die eine Partei einen Vorsprung von mehr als der Länge eines Wurfes, so wird ihr von den „Kreetlern“, d. i. den Schiedsrichtern, ein „Schott up“ (Schuß voraus) verzeichnet, ist die Strecke zum Schlusse nur eine geringe, so wird ein „Kiek ut“ (Aussicht, Ausblick) gutschrieben. Siegt ein Dorf dreimal über das Nachbardorf, so wird die Bossel vergoldet und zu Hause als Trophäe des Dorfes im Triumphe aufgehängt. – Ganz vorzüglich veranschaulicht uns auf Seite 44 der Zeichner die Bewegung eines Bosselwerfers, und gut beobachtet ist auch die unwillkürliche Bewegung des passionierten Zuschauers hinter dem Werfer.

Nicht so volkstümlich wie die vorgenannten Spiele, aber ebenfalls viel Unterhaltung und Anregung bietend ist das Hockeyspiel auf dem Eise. Hockey gehört zu den englischen Nationalspielen und erst in neuerer Zeit beginnt es, sich auch in Deutschland einzubürgern. Es ist ein Rasenspiel und wird auf dem Eise eigentlich nur in übertragenem Wirkungskreise gespielt. Es gehört zur Gattung der Polospiele und ist, um es recht deutlich zu erklären, ein Fußballspiel ohne Fuß und ohne Ball. Statt des großen Balles wird nämlich eine kleine Kugel aus zollstarkem Gummi mit einem Hohlraum von einem Zoll Durchmesser verwendet, und diese wird statt mit den Füßen durch lange, am unteren Ende aufgebogene Stöcke getrieben. Im übrigen gelten aber so ziemlich die Fußballregeln. Zwei Parteien kämpfen miteinander, und der Zweck des Kampfes ist, die Kugel ins feindliche Lager zu treiben. Ist das Spiel schon auf dem Rasen nicht leicht, so erfordert es auf der glatten Eisfläche noch eine ganz besondere Gewandtheit und Geschicklichkeit, und wer nicht ein ganz „fermer“ Schlittschuhläufer ist, der bleibt besser davon, denn es wird ihm nicht wohlergehen dabei.

Damit wären aus unserer Bilderserie die eigentlichen Spiele erledigt; die in einem zweiten Artikel folgenden Darstellungen beziehen sich entweder auf den Sport oder auf die harmlose, nicht in besondere Satzungen gebrachte Winterunterhaltung im Freien.


Nachdruck verboten.     
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Die Hansebrüder.
Roman von Ernst Muellenbach (Ernst Lenbach).

(2. Fortsetzung)

5.

Auch Doktor Hans Mohr hatte die Weihnachtsferien zu einer Reise verwandt. Es war eine Studienreise eigener Art, bei der er selbst das eine Studium betrieb und der Gegenstand des anderen war.

Während der großen Herbstferien hatte er auf einer Gesellschaft bei seinem Rektor eine junge Dame kennengelernt, die ihn durch ihr besonnenes und feines Wesen fesselte. Sie war wohl über die erste Jugendblüte schon hinaus, konnte aber noch mit Ehren unter den Jüngeren bestehen; denn sie wußte ihre schlanke und ziemlich hohe Gestalt mit einer ausgesucht vornehmen Bescheidenheit zu kleiden, und ihr Gesicht war eines von jenen kühlen und hartgeschnittenen Gesichtern, die spät aufhören jung zu scheinen, weil sie eigentlich nie ganz jung schienen. Von dem aschblonden Scheitel bis zum Kinn war alles ein wenig schmal und eng beieinander, aber nett und sauber und wohlgeordnet. Nur im Ausdruck des Mundes war das Ordnungsmäßige vielleicht etwas zu deutlich ausgeprägt: wenn sie einem zuhörte, preßte sie die schmalen Lippen noch etwas fester zusammen, es sah dann aus, als ob sie ein Zeugnisformular vor sich liegen hätte und darüber nachdächte, welches Prädikat sie einzeichnen dürfe. Das mochte eine Berufseigenheit sein, denn sie war die einzige Tochter und erste Gehilfin einer Dame, die in einem schöngelegenen Städtchen, etwa eine Eisenbahnstunde von der Universitätsstadt, eine sehr vornehme und teuere Erziehungsanstalt für Töchter wohlhabender Familien auf eigene Rechnung leitete. Es war die selbe Anstalt, an welcher Emilie Flügge bis zu ihrer Verheiratung unterrichtet hatte.

Die junge Dame trug einen Familiennamen von großem litterarischen Wohlklang. Ihr Großvater hatte sich als Erzieher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_046.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)