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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)


bekamen ein glattes Fell, ähnlich dem der Windhunde, während umgekehrt Kamele und Dromedare, von Afrika nach dem rauhen Hochland von Tibet verschickt, dort ein zottiges Fell erhielten. Das Naturgemäße in Bezug auf die Hautbekleidung ist also nicht planlose Willkür oder übertriebene Abhärtung, sondern maßvolles Anschmiegen an die jeweiligen klimatischen Bedingungen. Man darf wohl annehmen, daß die übertriebene Abhärtung in der Regel auch zu einer übertriebenen und vorzeitigen Abnützung führen würde. Erklärt doch schon Hufeland in seiner Makrobiotik, die richtige Kleidung für ein Mittel zur Verlängerung, schlechte Kleidung dagegen für eine Quelle der Verkürzung des Lebens. -

Wenn nun aber der Wert und Nutzen guter Kleidung für den Organismus unzweifelhaft feststeht, so führt dies ganz von selbst zu der Frage. was ist denn nun die beste Kleidung? Das ist nicht so einfach zu beantworten, es bedarf dazu einer Darlegung nach den einzelnen Aufgaben der Kleidung, aber die Hauptfrage ist jedenfalls: Welche Kleiderstoffe bieten uns den besten Wärmeschutz?

(Schluß folgt.)


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Bahnwächter-Romantik.

Skizze aus den deutschen Alpen.
Von Heinrich Noé.[1]

Man hat sich angewöhnt, die Eisenbahnen im allgemeinen als eine sehr prosaische, nüchterne Erfindung zu betrachten. Ihr gegenüber ist oft die Poesie der alten Landkutschen, des Posthorns und der behaglichen Langsamkeit früherer Tage hervorgehoben worden. Mag man über diesen Gegensatz denken und empfinden wie man will, wer das Leben der Eisenbahnbeamten kennt, der wird zugeben, daß auch in diesem scheinbar nüchternen Dienste die Romantik nicht zu fehlen braucht. Ja, sie ist längs der Schienenstränge gerade dort eingedrungen, wo man sie am allerwenigsten erwartet hätte - in die kleinen, schmucken Bahnwächterhäuschen.

Es giebt in der That eine Romantik des Bahnwächterlebens. Wie romantisch sind schon viele dieser winzigen Behausungen namentlich inmitten des Gebirges gelegen! Sauber sind die kleinen steinernen Hütten, und rings um sie grünt und blüht es. Da gedeihen die großen Trichter der goldgelben Kürbisblüten, die Geranien, die Rosen, die Päonien, die Astern auf dem schmalen Grunde rings um die reinlich getünchten Wände. Aus der Böschung des Bahndammes wächst das Futter für die Kuh oder die Ziegen des Wächters. Fast überall hat man ihm auch vom Eigentum der Bahn zu einem Nutzzins, der im Vergleich zu dem, was sonstwo für einen Grund gefordert wird, kaum nennenswert ist, ein Stück Boden überlassen. Vor Nahrungssorgen ist der Mann geschützt. Auch erhält er jährlich seine Kleidung, und außerdem wird sein Weib, das ihm in seiner Thätigkeit beisteht, besonders entlohnt. Hat er ein bestimmtes Alter erreicht, so giebt man ihm seine ganze Bezahlung als Ruhegehalt.

Wenn es viele Stellen giebt, an welchen der Dienst ein sehr anstrengender ist, so wüßte ich dagegen noch mehr, wo die Bahnwächter sich einer Art von Villeggiatur erfreuen. Zudem könnte man noch sagen, daß die Einsamkeit zur Festigung des Familienlebens beiträgt. Das Wirtshaus, das im Dorf oft störend einwirkt, fehlt da, und der Dienst fesselt buchstäblich Mann und Frau an die Scholle.

Das sind so Dinge, die jedem einleuchten - zur Romantik des Lebens gehören sie ja allerdings nicht. So will ich denn in nachgehendem einige kleine Züge und Vorkommnisse aus unseren südlichen Alpenländern erzählen, aus welchen der freundliche Leser ersehen wird, daß ein solcher Wächter doch nicht selten auch unter recht schwierigen Umständen versetzt wird und sich alsdann leicht eben soviel Gefahren gegenübersieht wie ein Vorposten vor dem Feinde.

Zu einer solchen schwierigen Pflichterfüllung gestaltet sich oft beispielsweise das Abgehen der Strecke während eines heftigen Schneegestöbers. Um sich davon ein Bild zu machen, muß man einmal während eines solchen die Lokomotive vorüberfahren gesehen haben. Die Farben ihrer wirklichen Erscheinung sind verschwunden, an ihre Stelle ist ein Gebilde getreten, welches in der Werkstatt eines phantasievollen Zuckerbäckers geschaffen worden zu sein scheint. Selbst der Schlot ist weiß. Und immer noch fällt der Schnee, gleichmäßig, unaufhörlich!

Im Wächterhaus sind die schweren Fensterläden zugemacht worden, damit der Sturm die Scheiben nicht eindrücke. In Zwischenräumen von je einer Minute prallt es von draußen her gegen das Gebäude an. Es bebt, wie die Schiffswand von der Sturzfee erschüttert wird. Die Lampe flackert, der Rand der Flüssigkeit im Glase zittert. Wer hinaus gehen will, bleibt eine Weile wie unschlüssig vor der Thür stehen, einem Badenden gleich, bevor er sich vom hohen Schwungbrett in die Wellen stürzt. Schaut man ihm nach, so sieht man ihn mit vorgebeugtem, gekrümmtem Körper dahinschleichen, wie jemand, der durch eine niedrige Höhle kriecht. Die Beinkleider werden ihm glatt an die Schenkel gepreßt, als ob er gegen einen reißenden Strom schwämme.

Noch schlimmere Gefahren bedrohen den Bahnwächter, wenn der Schnee nicht nur in Flocken, sondern von den umliegenden Höhen auch in rollenden Massen herabkommt und alles umwirft und zusammendrückt, was ihm im Wege steht. So kenne ich ein Wächterhaus auf der Hochfläche des Brenner, welches mit mancher Ritterburg die romantische Eigenschaft gemeinsam hat, daß von ihm nur einige Spuren von Grundmauern übrig sind. In diesem Wächterhaus habe ich einst gleich nach seiner Zerstörung geweilt. Das Dach war weggerissen, und über dem Stubenboden lag eine tiefe Decke festen Schnees. Mehrere große Schneefälle hatten auch den ganzen eisernen Ofen ausgefüllt. Unter allerlei zerbrochenem Hausgerät lagen porzellanene Isolatoren des Telegraphen, verwirrter Draht und die Trümmer einer - Kinderwiege. In geringer Entfernung von diesem Wächterhaus befand sich die Wohnung eines Bauern. Dort lag der Wächter tot mit einem weißen Tuche zugedeckt. Neben ihm das getötete Kind - um die von Glassplittern der Fensterscheiben verwundete Stirn ein grünes Kränzchen und in den zusammengefalteten Händen einen kleinen Strauß von künstlichen Blüten. Ein roter Vorhang dämpfte das Sonnenlicht zu milchrosigem Schein. Zu Füßen stand ein Weihwasserkessel. Man hatte die Toten hierhergetragen und aufgebahrt, die Andächtigen gingen ab und zu und beteten.

Wenige Stunden vorher war da folgendes zu sehen gewesen. Es war Nacht. Der Wind kam von Norden und jagte weite Schneedecken in Pulverstaub, mit breitem Geflock vermengt, über den Brenner - gleich einem breiten Strom. Das rote Auge des Zuges nahte - von fernher pfiff, schwirrte, donnerte und dröhnte es.

Der Zug brauste heran. „Ach Gott,“ rief der Wächter seinem Weibe zu, „der Zug fährt ja mitten in die Lawine hinein!“

Trotz der Hoffnungslosigkeit seines Unternehmens macht der Tapfere einen verzweifelten Versuch, das Unheil aufzuhalten. Er schwingt seine Laterne - dann ein erschöpfendes Rennen über Schneehaufen, die das Auge in der herrschenden Finsternis, geblendet von flirrendem Geflock und Lampenschein, nicht seht - jeden Augenblick gewärtig, daß die nachrollenden Massen ihn erschlagen oder ersticken, erreicht er den Zug und nötigt ihn zum Stehen! Die Maschine und ein Wagen können zwar vor dem Entgleisen nicht mehr bewahrt werden - die entgleisten Räder bleiben im Schnee stecken, die anderen stehen still! Die Menschen drinnen sind gerettet. Jeder weiß jetzt, daß eine niedergegangene Lawine den Weg sperrt, und dankt Gott im stillen, daß alles so gut abgelaufen. An den Bahnwächter, der gänzlich erschöpft von dem gefährlichen Lauf, atemlos da draußen im Schneesturme steht, denkt natürlich keiner der Reisenden im Zug. Sie wissen ja gar nichts von ihm und von dem, was er zu ihrer Rettung gethan!

Glücklich gelangte er in sein Häuschen zurück. Es kam aber später auf derselben Rutschbahn eine zweite Lawine. Von dieser wurden Vater und Kind erschlagen.

Leicht hätte dieser Wackere sich retten können, wenn er den ihm anvertraute Posten verlassen und sich dorthin geflüchtet hätte, wo jetzt sein Leichnam aufgebahrt war. Er ist, den sichern Tod im Auge, auf seinem Posten geblieben und untergegangen. -

Es ist in der Welt nicht so traurig, nüchtern und selbstsüchtig

  1. Wir übergeben den Lesern der „Gartenlaube“ hiermit eine der letzten Arbeiten unseres im Herbst vorigen Jahres verstorbenen geistvollen beliebten Mitarbeiters.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_079.jpg&oldid=- (Version vom 1.12.2022)