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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Morgenlied im Blindenhause.

(Zu dem Bilde S. 89.)

Ein neuer Tag beginnt den Lauf.
Den Menschen ging die Sonne auf,
Nur uns hat sie kein Licht gebracht,
Wir leben hin in ew’ger Nacht.

Nie sollen unsere Augen schau’n
Des Himmels Blau, die Blütenau’n,
Selbst uns’re Lieben seh’n wir nicht,
Uns lacht kein teures Angesicht.

Doch fühlen wir, wie weich und warm
Uns Liebe hält in ihrem Arm,
Wir hören ihrer Stimme Klang:
Dir, armes Häuflein, sei nicht bang!

Und horch, schon ruft uns in den Saal
Mit ernsten Tönen der Choral,
Wir tasten uns in Reih’ und Glied
Und singen unser Morgenlied.

„Preis dir, allgüt’ger Herre Gott,
Du läßt uns werden nicht zum Spott,
Ist unser Weg auch dunkel hier,
Er führt uns endlich doch zu dir –

Ein Morgen kommt, an dem dein Licht
Durch alle Schatten siegreich bricht,
Ein wundersel’ges Aufersteh’n,
Da wir zum erstenmale seh’n!“

A. B.




Gesundheit und Kleidung.

Ein Beitrag zur Hygieine der Kleiderstoffe.
Von Professor H. Buchner in München.

      (Schluß.)

Aus der Erfahrung weiß man es längst, und die wissenschaftliche Untersuchung hat es bestätigt und näher erklärt, daß in Bezug auf den Wärmeschutz durch die Kleidung die lockeren, porösen Stoffe den Vorzug verdienen vor den dichten, weniger durchlässigen. Man hat gesagt, das rühre von dem größeren Luftgehalt der ersteren her, denn die Luft sei ein schlechter Wärmeleiter, und in der That kann ja kein Zweifel sein, daß der vermehrte Luftgehalt in diesem Sinne wirkt. Auf die Bedeutung der Porosität der Kleidungsstoffe hatte schon Hufeland hingewiesen, und Pettenkofer, dessen Forschungen für die Hygieine der Kleidung in jeder Richtung grundlegend waren, lehrte auch den Einfluß des Luftgehalts der Gewebe nicht nur für den Wärmeschutz, sondern namentlich auch für die Lufterneuerung an der Körperoberfläche verstehen und würdigen.

Ueber die Größe des Luftgehalts der verschiedenen Kleiderstoffe hat namentlich Rubner genaue Ermittelungen angestellt, welche ergeben, daß zwischen dem lockersten Stoff, dem Wollflanell, und anderseits den dichtesten Geweben, den glattgewebten Baumwoll- und Leinenstoffen, Unterschiede bis zum Siebenfachen bestehen. Unmittelbar an den Wollflanell reiht sich bezüglich des Luftgehalts der Baumwollflanell, dann folgen die Tricotgewebe aus Wolle und Baumwolle. Die Tricotgewebe aus Leinen zeigen einen weit geringeren Luftgehalt, und ebenso ist dies selbstverständlich der Fall bei den dichteren Kammgarngeweben.

Man könnte denken, daß die verschiedene Natur der Elementarbestandteile, der Woll-, Baumwoll-, Leinenfaser usw., hierbei eine wichtige Rolle spiele. Allerdings ist dies der Fall, aber nur in indirektem Sinne, indem die Art der Herstellung, die Lockerheit des Gewebes von der Natur der verwendeten Elementarbestandteile wesentlich beeinflußt wird, da bekanntlich die Wollfaser von Haus aus eine ganz hervorragende Eignung zur Herstellung lockerer Gewebe besitzt, während die gleiche Eigenschaft der Leinenfaser fast vollständig abgeht. Wie groß der Unterschied im Luftgehalt durch die verschiedene Herstellungsart bei gleichem Grundstoff werden kann, ergiebt sich am auffälligsten bei der Baumwolle, die als Baumwollflanell einen fünffach größeren Luftgehalt aufweist als anderseits bei ihrer gewöhnlichen Verarbeitungsweise als glattes Gewebe, als Schirting oder Barchent.

Selbst die lockersten Kleidungsstoffe, welche unsere Technik erzeugt, erreichen übrigens an Porosität und demgemäß an Leichtigkeit bei gleichzeitig großem Wärmeschutz noch lange nicht dasjenige, was in dieser Beziehung der natürliche Pelz der Tiere leistet. Der durchschnittliche Luftgehalt der Pelzbekleidung übertrifft immer noch nahezu ums Doppelte denjenigen des Wollflanells. Der Wärmeschutz ist trotz dieses lockeren Baues ein mächtiger, und dabei bleibt das Gesamtgewicht dieser natürlichen Bekleidung ein verhältnismäßig ungemein geringes. Beim Hund beispielsweise beträgt das Gesamtgewicht der glatt abrasierten Haare nur 1,4 Prozent vom Körpergewicht des Tieres, während unsere Winterkleidung reichlich 10 Prozent vom Körpergewicht ausmacht, ohne wesentlich mehr zu leisten als der Pelz der Tiere.

Die porösen Stoffe würden uns einen noch höheren Wärmeschutz gewähren, wenn die Luft in den Poren des Gewebes sich in vollständiger Ruhe befände. Die geringe Leitungsfähigkeit der Luft für Wärme würde dann noch weit mehr zur Geltung kommen. Aber die Luft in unseren Kleidern ist nicht ruhend.

Infolge der Temperaturunterschiede zwischen der Körperoberfläche und der umgebenden Außenluft, sowie infolge der Atembewegungen des Brustkorbes kommt es vielmehr zu fortwährenden Strömungen, zu einem fortwährenden Wechsel in der Kleiderluft. Wie wichtig dieser Luftwechsel für unser Wohlbefinden ist, davon können wir uns durch einen Versuch leicht überzeugen, wenn wir zwischen die Schichten der Kleidung (nicht unmittelbar auf die Haut!) ein Stück dünnen Guttaperchastoffes einlegen. Es entsteht dadurch bald ein unbehagliches Gefühl, das nicht bloß auf Zurückhaltung von Wärme beruhen kann, sondern einer lokalen Behinderung der Wasserdampfabgabe von der Hautoberfläche entspringt.

Die Porosität der Kleiderstoffe besitzt also weitere Vorteile, indem sie die erforderliche Ventilation an der Körperoberfläche ermöglicht. Wir produzieren an unserer Hautoberfläche nicht nur Wasserdampf, sondern auch, wie Rubner gezeigt hat, Kohlensäure, und es läßt sich nach dem Kohlensäuregehalt der Kleiderluft sogar messend bestimmen, ob die Hautventilation genügend ist oder nicht.

Unsere Kleiderstoffe bestehen aus tierischen oder pflanzlichen Fasern, und die Eigenschaften sind daher auch von der Beschaffenheit des Grundmaterials abhängig. Bei den Wollstoffen lehrt die Erfahrung, daß sie bei Berührung mit der bloßen Haut sofort das Gefühl der Wärme erzeugen, im Gegensatz zu baumwollenen und namentlich zu leinenen glattgewebten Stoffen. Die Ursache dieser Verschiedenheit liegt jedenfalls zum Teil in dem beträchtlich geringeren Wärmeleitungsvermögen der Wollfaser, zum Teil aber ist sie noch in ganz anderen Dingen begründet.

Rubner hat nämlich auf die hygieinisch wichtige Oberflächenbeschaffenheit der verschiedenen Gewebe hingewiesen, d. h. auf die verschieden große Zahl von Berührungspunkten welche ein Unterkleidungsstoff mit der unterliegenden Hautfläche besitzt, weil hiervon die Größe der Wärmeleitung abhängt; je weniger Berührungspunkte, um so weniger wird das betreffende Gewebe dem Körper an Wärme entziehen können, um so wärmer muß es selbst für unsere Empfindung erscheinen. Das gilt namentlich, wenn der Stoff von Schweiß durchnäßt ist; wenig elastische Gewebe von großer Kontaktfläche, wie z. B. glattes Leinengewebe, klatschen im durchnäßten Zustand der Haut fest an und erhöhen dabei in enormem Maße den Wärmeverlust. Ganz anders ist dies dagegen bei wollenen Geweben. Auf dem Wege von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_088.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2018)