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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Höhe sich aufsammelt. Leinen und Baumwolle saugen eben begierig die ankommende Feuchtigkeit auf und halten den Schweiß und seine organischen Bestandteile in unmittelbarer Nähe der Hautfläche, gleich auf den innersten Schichten des Stoffes in konzentrierter Anhäufung fest, weshalb die bakterielle Zersetzung begünstigt ist. Bei der Wolle wird alles verteilt und ausgebreitet, der Nährboden ist weniger konzentriert, und es kommt daher weniger leicht zu wahrnehmbarer Zersetzung. Man könnte im Zweifel sein, welcher Zustand hygieinisch als der vorteilhaftere sich darstellt, da Leinenunterwäsche von selbst zu ihrer öfteren Reinigung drängt, während in der Wolle die Bedingungen der Zersetzung sich langsamer und allmählicher entwickeln. Ich glaube aber doch, daß dem Leinen der Vorzug in Hinsicht der Reinlichkeitspflege gebührt.

Noch ein weiterer wichtiger Schluß ergiebt sich aber aus dem geschilderten Verhalten der Wollstoffe. Wenn der Schweiß im Wollstoff gleichmäßig verteilt und nach außen abgeleitet wird, so muß die innerste Schicht des Gewebes, die unmittelbar an der Hautoberfläche anliegt, immer verhältnismäßig trockener und daher auch weniger wärmeentziehend bleiben als bei anderen Stoffen. Ein solches Gewebe, das bei Durchfeuchtung von der Körperoberfläche aus das Wasser immer wieder rasch nach außen leitet, wo es unmerklich verdunsten kann, wird demnach für unser Wohlbefinden ideal sein, und das erklärt denn, wie ich glaube, vollständig die allgemeine Wertschätzung, deren sich die wollenen Unterkleider erfreuen, namentlich bei allen denen, die viel körperlichen Anstrengungen und häufigem Temperaturwechsel ausgesetzt sind.

Es fragt sich aber doch, ob diese Vorteile gerade nur durch wollene Stoffe zu erreichen sind. Auch solche leinene und baumwollene Gewebe, die mit möglichst wenig Kontaktpunkten die Haut berühren, von denen oben die Rede war, werden ähnlich wirken können. Die wollenen Gewebe sind also auch in dieser Beziehung nicht unersetzlich, was um so wichtiger ist, als denselben, wie oben erwähnt, unter Umständen doch auch gewisse Nachteile anhaften. Jedenfalls kann und wird die Technik in dieser Beziehung noch weiter voranschreiten. Möglicherweise ist in diesem Sinne bereits der neuerdings von einer deutschen Firma durchgeführte Versuch der Herstellung von gemischten, d. h. aus allen drei Fasergattungen, Leinen, Baumwolle und Wolle, gleichmäßig bestehenden Geweben nicht ganz aussichtslos, nachdem diese Gewebe zugleich nach ihrer gitterförmigen Struktur eine bedeutende Luftdurchgängigkeit besitzen und daher auch der Anforderung der Hautventilation vollauf entsprechen.

Wie dem auch sein mag, so dürfte übrigens, auch nach den größten Fortschritten unserer Bekleidungsindustrie, kaum je der Tag anbrechen, wo ein einziger Idealgewebestoff alles beherrscht und alle anderen als unnötig verdrängt, sondern voraussichtlich werden je nach den Anlagen und Bedürfnissen des einzelnen immer etwas verschiedenartige Anforderungen erhoben werden müssen, und das Goethesche „Eines schickt sich nicht für alle“ wird voraussichtlich auch in der Hygieine der Kleidung seine Gültigkeit bewahren.


Aus dem Leben Philipp Melanchthons.

Es war am 25. August des Jahres 1518, als in Wittenberg auf einem Rößlein ein schlichter Reisender eintraf. Er war so zierlich gebaut, daß er für einen achtzehnjährigen Jüngling gehalten werden konnte, obwohl er schon sein einundzwanzigstes Lebensjahr überschritten hatte. Eher klein als groß im Wuchs, hielt er die eine Schulter höher als die andere. Schüchtern im Auftreten machte er einen unansehnlichen Eindruck, aber die großen hellen Augen unter der hohen gewölbten Stirn verliehen seinem Angesicht einen sinnigen, ernsten Zug, sie verrieten einem erfahrenen Beobachter, daß in dieser unscheinbaren körperlichen Hülle ein großer und klarer Geist wohnen müsse.

In der That war dieser Fremdling trotz seiner Jugend bereits ein hochberühmter Mann, und er war nach Wittenberg gekommen, um als Lehrer an der Universität zu wirken. Als Kurfürst Friedrich der Weise für den griechischen Lehrstuhl der neugegründeten Hochschule einen hervorragenden Gelehrten suchte und Umfrage in Deutschland hielt, konnte man ihm keinen besseren „Griechen“ nennen, als den jungen Philipp Melanchthon. Schon wenige Tage nach seiner Ankunft, am 29. August, hielt er seine Antrittsrede, in welcher er die notwendige Reform der Universitätsstudien predigte. Da gewann er die Herzen der Wittenberger, und vor allen hieß ihn Martin Luther willkommen, denn vom ersten Augenblick an erkannte er die hohe geistige Bedeutung des Mannes, der später zu seinem Mitarbeiter und Freunde wurde und von dem er so treffend gesagt hat, daß er ein Grieche, ein Lateiner, ein Hebräer, ein Deutscher war und nie ein Barbar!

Entwurf zum Melanchthon-Gedächtnishause in Bretten.

Von jenem Tage an wurde Wittenberg zur zweiten Heimat Melanchthons, der er treu bis an sein Lebensende blieb, obwohl seine Wiege fernab von den Ufern der Elbe in der fröhlichen Pfalz gestanden hatte. In dem Städtchen Bretten, das heute an der Grenze zwischen Baden und Württemberg liegt, erblickte er am 16. Februar 1497 als Sohn des Waffenschmieds Schwarzerd oder Schwarzert das Licht der Welt. Seine Mutter war eine Nichte des berühmten Gelehrten Johannes Reuchlin, und dieser Verwandtschaft hatte es der kleine Philipp zu danken, daß ihm im väterlichen Hause eine für die damalige Zeit ausgezeichnete Bildung zuteil wurde. Mit zwölf Jahren bezog Philipp nach seines Vaters Tode die Universität Heidelberg, wo er Philosophie und die klassischen Sprachen studierte und so glänzende Fortschritte machte, daß er mit seinem fünfzehnten Lebensjahre Baccalaureus der freien Künste wurde. Seinen Familiennamen Schwarzerd übertrug er nach der unter den Gelehrten jener Zeit herrschenden Sitte ins Griechische und nannte sich fortan Melanchthon, welches Wort er später des Wohllauts wegen noch in Melanthon umwandelte. Bei der Nachwelt ist ihm jedoch der Name Melanchthon, unter dem er zuerst berühmt wurde, verblieben.

Bald nach der Erlangung des Baccalaureats bewarb er sich um die höhere Magisterwürde, die ihm das Recht geben sollte, als Lehrer aufzutreten, aber die Heidelberger glaubten ihm dieselbe versagen zu müssen, nicht etwa wegen mangelhaften Wissens, sondern wegen des „noch so jungen Ansehens“. Betrübt verließ Melanchthon Heidelberg und wandte sich nach Tübingen, wo er, siebzehn Jahre alt, die ersehnte Würde erlangte und aus dem Schüler zum Lehrer wurde. Der junge Magister bewegte sich aber keineswegs in den alten ausgetretenen Bahnen, er wollte frei forschen und zur freien Forschung anleiten, das erregte Mißstimmung, und diese und jene seiner Vorlesungen wurde bekrittelt oder gar verboten. Da kam ihm der Ruf nach Wittenberg wohl als eine Erlösung. Dort fand er die nötige Freiheit zur Entfaltung seines Wissens und Könnens, zum Ausreifen seiner reformatorischen Gedanken. Unter den großen Männern aus dem Zeitalter der Reformation stellt ihn die Geschichte auf den Ehrenplatz an die Seite Martin Luthers, dessen Freund, Mitarbeiter und Berater er war. Was er in dieser Hinsicht gethan, ist allgemein bekannt und wird unvergessen bleiben.

Heute, da der Tag seiner Geburt zum vierhundertstenmal wiederkehrt, da ein Melanchthonjubiläum in weiten Kreisen des deutschen Volkes gefeiert wird, erwacht auch das Verlangen, die Gestalt des großen Mannes, wie er lebte und wirkte, sich zu vergegenwärtigen, ihn bei seiner geistigen Arbeit zu belauschen, ihn in seinem Heim aufzusuchen und jene leisen Züge im Thun und Handeln ins Auge zu fassen, durch die man Einblicke in die Eigenschaften des Charakters und in die Tiefen des menschlichen Herzens gewinnt.

Melanchthon war ein Mann, dessen Sinnen und Trachten im vollen Umfang der Wissenschaft gewidmet war. Er dachte nicht daran, zu freien und einen Hausstand sich zu gründen. Als die Freunde ihn dazu drängten, erwiderte er. „Ich müßte meine Studien abkürzen und mich so meines höchsten Genusses berauben.“

Aber seine Freunde wollten ihn an Wittenberg fesseln und verheirateten ihn schon zwei Jahre nach seiner Uebersiedelung in die Elbestadt. Melanchthon „bekam“, wie er sich selbst ausdrückte, „Katharina Krapp“ zur Frau. Sie war die Tochter des Wittenberger Bürgermeisters, zart und zierlich wie ihr Gemahl und in gleichem Alter mit ihm.

Reichtum war dem jungen Ehepaare nicht beschieden, denn der Professor des griechischen Lehrstuhls an der Universität zu Wittenberg hatte Jahre hindurch einen Gehalt von nur einhundert Gulden. Sehr anschaulich schildert Dr. Paul Kaiser in seiner Jubelschrift „Philipp Melanchthon“ die schlichte Einrichtung des Gelehrtenheims. In dem Wohnzimmer bildete ein großer Kachelofen das Prunkstück, die Möbel waren derb, ein großer Eichentisch, ein paar Stühle und Truhen, und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_091.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)