Seite:Die Gartenlaube (1897) 132.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

0


Blätter und Blüten.

Der Fastnachtsbär. (Zu dem Bilde S. 117.) Sang und Klang schallt die Dorfstraße herauf. Groß und klein ist auf den Beinen, denn der „Fastnachtsbär“ hält heute seinen Umzug. Er ist ein zottiger Geselle; aber böse Zungen behaupten, daß sein Fell niemals auf einem Bärenleibe gesessen habe. Er ist offenbar an südlichere Luft gewöhnt, und in Böhmen ist es ihm zu kalt, darum ist er vom Kopf bis zu den Füßen in Erbsenstroh gehüllt und fest mit Strohbändern umbunden. Auch hat er Stiefel an, und wenn man ihn neckt, klingt’s bisweilen wie ein menschliches Lachen mitten aus dem Stroh. Aber er tanzt fleißig und gut und geht so hübsch aufrecht auf seinen Hintertatzen, daß man denken könnte, er hätte außer in frühester Jugend seine Vordertatzen noch niemals zum Laufen benutzt. Ihre Fertigkeiten hat er indessen wohl ausgebildet; hält er doch ganz richtig eine Kanne Bier in den Tatzen und bietet diese den Umstehenden manchmal zum Trunke dar. Sein Führer ist ein netterer Geselle. In seinem grauen, weiten Kittel, den kurzen Hosen, roten Strümpfen und Schnallenschuhen sieht er gar sauber aus, und der breitkrempige Hut macht einen verwegenen Eindruck. Offenbar hat er selbst den Bären so gut abgerichtet; denn derselbe folgt ihm auf’s Wort und tanzt nach seiner Pfeife Polka, Walzer oder Ländler. Nur wenn ihm die Weiber das Stroh auszupfen, wird er etwas ungeduldig. Sie lassen sich aber dadurch nicht abhalten, es immer wieder zu thun; denn, in die Hühnernester gelegt, hilft es zu reicher Eierzahl!

Nicht überall wird es dem Fastnachtsbären so wohl, daß er nur seine Tanzkünste zu zeigen braucht. In Schwaben fertigt man ihn aus einem Strohmann, dem man ein Paar alte Hosen anzieht, und den man dann zum Richtplatz führt, wo er sterben soll. Denn er ist angeklagt, eine blinde Katze getötet zu haben, er kann das nicht leugnen, und so wird er in aller Form zum Tode verurteilt und – enthauptet.

Dieser seltsame Aufzug ist der letzte Rest einer Frühlingsfeier, die in alter Zeit fast bei allen germanischen Völkern begangen wurde. Der Bär ist ein Sinnbild des Winters. Nun wird es Frühling, und darum muß der Winter sterben. Darum wird ihm der Prozeß gemacht und das hochnotpeinliche Halsgericht an ihm vollzogen. Dieselbe Auffassung liegt auch der „Groppenfasnacht“ in Ermatingen am Bodensee zu Grunde, welche im vorigen Jahrgang der „Gartenlaube“, Seite 305 und 308, unseren Lesern in Bild und Wort vorgeführt wurde. Bei derselben bildet der „Groppenkönig" das Sinnbild des Frühlings, während der Winter durch eine Strohpuppe dargestellt wird. A. T.     

Der Walzer. In den gegenwärtigen Faschingstagen, wo die tanzlustige junge Welt allerorten wieder dem beliebtesten deutschen Tanze, dem Walzer, huldigt, erinnert ein Aufsatz von Alexius Becker in der „Allgemeinen Zeitung“ daran, daß der berühmte Walzerkönig Johann Strauß sich mit der Absicht trage, den Walzer „auszubauen“, in der Weise, daß die sich stets wiederholende Drehung einer größeren Mannigfaltigkeit der Touren und Figuren weichen solle. „Wenn irgend jemand, so erscheint gewiß Johann Strauß zu diesem Werke berufen. Möglich ist eine solche Erweiterung dieses graziösen Tanzes unter allen Umständen, und gründliche Kenner der Choreographie mögen oft genug bedauert haben, daß der so anmutige, schwebende Pas nur dazu dienen soll, dem Körper stets ein und dieselbe, mit der Zeit selbstverständlich monoton werdende Drehung zu ermöglichen. Auch die Allemande, der Schwestertanz des Walzers, entzückte einst unsre Großeltern durch den bunten, anmutigen Aufputz, mit dem sie geschickterweise verbrämt war. Man tanzte in Quadrillenform, jedoch immer mit jenem schleifenden Schritt, der ihre charakteristische Aehnlichkeit mit unserm Walzer ausmacht. Was der Allemande möglich gewesen, das darf man vom Walzer mit aller Sicherheit erhoffen. Vielleicht gelangt er dadurch in eine neue, feinere Phase seines ohnehin unvergänglichen Ruhmes.“ – Das wäre ja wohl möglich. Ob aber diese „neue feinere Phase“ je die Volkstümlichkeit unseres guten alten und doch ewig jungen Walzers erreichen würde, das möchten wir denn doch sehr bezweifeln.A. K.     

„Den Brotkorb höher hängen.“ Den Sinn dieser Redewendung versteht heute jedermann, aber wie sie entstanden ist, das ist im Volke in Vergessenheit geraten. Es bestand einst die Sitte, in der Wohnstube an der Thür einen Korb anzubringen, in den man Reste von Brotschnitten, die beim Mittagsmahl unverzehrt blieben, hineinzuthun pflegte. Den Kindern des Hauses war es nun erlaubt, wenn sie zwischen den Hauptmahlzeiten Hunger verspürten, in den Brotkorb hineinzulangen. Waren die Kleinen unartig, so drohte man ihnen, man werde den Brotkorb höher hängen, so daß sie ihn nicht würden erreichen können. Der „Brotkorb" ist im Laufe der Zeiten aus der deutschen Wohnstube verschwunden, die Redewendung hat sich aber bis auf unsere Tage erhalten.*      

Karnevalsfreuden. Zu den Bildern S. 120 und 121, 129 und zu unserer Kunstbeilage.) Nur fröhliche Leute dürfen dem Prinzen Karneval huldigen, und fröhlich sind in der That alle Gestalten, die auf den Bildern unserer heutigen Nummer den Lesern vorgeführt werden. Da ist auf dem Bilde „Vor dem Kostümfest" das lustige Mädel, dem die kleidsame Tracht aus Großmutters Zeit so trefflich steht. Am Tage vor dem Ballabend prüft sich das Fräulein im Spiegel; sie gefällt sich ausgezeichnet und wird so aufgeräumt, daß die Füßchen unwillkürlich im Tanztakte schwingen. Das sind Vorfreuden des Karnevals. – Mitten in den tollsten Tanzjubel versetzt uns dagegen das reichbelebte Bild der Karnevals-Française. Die karnevalistische Lust vieler Teilnehmer ist schon mehr in Ausgelassenheit übergegangen – es scheint, als ob sie das Vergnügen dieses Abends doppelt auskosten möchten, weil er der letzte des Faschings vor dem trübseligen Aschermittwoch ist. Es wird gerade eine Française getanzt, bei der sich die übermütige Stimmung eines Teiles der Ballgäste noch viel lebhafter geltend machen kann als bei den Rundtänzen. Die Damen sind in den verschiedenartigsten Kostümen erschienen: dort sieht man Pierretten, hier allerliebste Teufelchen, dann wieder Tänzerinnen, die nach der Mode aus der Biedermaierzeit gekleidet sind, und daneben eine Menge von Nationaltrachten aus allen möglichen Gegenden. Wie unterschiedlich sie aber auch angezogen sind – allen gemeinsam scheint, daß sie das Ballvergnügen mit vollen Zügen genießen und sich aufs köstlichste unterhalten. Die Augen blitzen und funkeln und schauen bald hierhin bald dorthin; die Lippen lachen und lassen muntere Scherzworte erschallen und die Wangen zeigen eine lebhaftere Färbung. Auch die Herren huldigen mit Leib und Seele dem Prinzen Karneval. Der possierliche Clown in der Mitte unseres Bildes sucht durch allerlei komische Gebärden und Bewegungen auch die übrigen Tänzer und Tänzerinnen zu ergötzen. Eifrig bei der Sache ist auch der wohlbeleibte Flügelmann, dem eine kleine Schweningerkur offenbar recht heilsam wäre; bei der im Saale herrschenden Hitze muß er stark dafür büßen und wischt sich gerade den Schweiß ab, den ihm die Ausführung der Françaisetouren verursacht. – Der Darstellung heiterer Karnevalsscherze, die beim Heimgang der letzten Gäste noch in den ersten Stunden des Aschermittwoch auf der Treppe sich abspielen, ist auch unsere heutige Kunstbeilage gewidmet. Hier sorgt wieder der Clown für die Unterhaltung und die belustigten Mienen der zur Garderobe herabsteigenden Ballschönen beweisen, daß ihm auch der letzte Scherz gelungen ist. R.     


Kleiner Briefkasten.

H. T. in S. 0Die Photographie des in Nr. 50 der „Gartenlaube“ 1896 erschienenen Bildes von Victor Blüthgen ist von Photograph Schäffner in Mühlhausen in Thür. aufgenommen.

C. M. in Elberfeld. Wir haben einen illustrierten Artikel „Ueber den Ocean“, Bilder von einem deutschen Schnelldampfer, gebracht, und zwar im Jahrgang 1890, Nr. 15.


☛      Hierzu Kunstbeilage IV: „Im Karneval“ von St. Grocholski.

Inhalt: Trotzige Herzen. Roman von W. Heimburg (7.Fortsetzung.) S. 117. – Der Fastnachtsbär. Bild. S. 117. – Karnevals-Française. Bild. S. 120 und 121. – Reingefallen. Plauderei von Rudolf Kleinpaul. S. 123. – Der Schlüssel. Eine nächtliche Geschichte von Eva Treu. S. 124. Mit Abbildungen S. 124, 125, 126 und 127. – Die Hansebrüder. Roman von Ernst Muellenbach. (Ernst Lenbach) (7. Fortsetzung). S. 128. – Vor dem Kostümfest. Bild. S. 129. – Blätter und Blüten: Der Fastnachtsbär. S. 132. (Zu dem Bilde S. 117.) – Der Walzer. S. 132. – „Den Brotkorb höher hängen.“ S. 132. – Karnevalsfreuden. S. 132. (Zu den Bildern S. 120, 121, 129 und zu unserer Kunstbeilage.) – Kleiner Briefkasten. S. 132.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_132.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)