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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

daß dieselben, wie er selbst auch vorschlägt, von einer staatlichen Anstalt wieder aufgenommen würden. Eine gegen niedere Temperaturen unempfindliche Rasse dürfte wahrscheinlich auch gegen Krankheiten viel weniger empfindlich sein als die jetzigen Rassen. Als Ausgangspunkt für derartige Versuche würde sich die japanische Rasse des Maulbeerspinners, welche schon etwas widerstandsfähiger ist als die chinesische, empfehlen.

Daß thatsächlich die Vernachlässigung der Temperatur und nicht das neue Futter die Harz’schen Versuche so sehr beeinflußte, beweist nun der Umstand, daß zuerst in Moskau von Frau Professor Tichomirowa, dann in St. Petersburg von Herrn Werderewski die Aufzucht der Raupe des Maulbeerspinners mit den Blättern der Schwarzwurzel mit vollem Erfolge und in der normalen Zeit ausgeführt worden ist. Diese beiden haben die Zuchtmethode jetzt soweit ausgebildet, daß die russische Regierung die Dorfschullehrer nach Moskau und St. Petersburg schickt, damit sie daselbst die Zuchtmethode praktisch erlernen und in ihren Dörfern als Hausindustrie einführen. Was aber im Gouvernement St. Petersburg unter dem 60.° nördl. Br. möglich ist, das läßt sich bei uns in Deutschland überall ausführen. In St. Petersburg ist die Schwarzwurzel nicht mehr winterhart. Sie muß alljährlich aus dem Boden genommen und im Frühjahre wieder ausgepflanzt werden, und trotzdem ist die Seidenzucht dort noch lohnend. Bei uns hält die Pflanze auch in den rauhesten Gebirgsgegenden aus. Klimatische Verhältnisse stehen bei uns nirgend im Wege. Von fast noch größerer Bedeutung ist es aber, daß Frau Professor Tichomirowa und Herr Werderewski übereinstimmend gefunden haben, daß die Blätter solcher Pflanzen welche auf magerem Boden gewachsen sind, ein besseres Futter geben als die Blätter von Pflanzen die auf gutem nahrhaften Gartenboden gewachsen sind. So sind auch die im ersten Jahre gebildeten Blätter ihrer Weichheit und Saftigkeit wegen nicht zum Verfüttern geeignet. Es genügt also ein sonst nicht verwendbares Stückchen Land zur Anzucht der Pflanzen. Da die Wurzeln, welche ein sehr wohlschmeckendes Gemüse bilden, in großen Massen herangezogen werden, kann man zu einem Versuche sofort mit dem Anbaue beginnen. Durch Aussaat, welche am besten sogleich nach der Reife der Samen oder mindestens so frühzeitig wie möglich im Jahre vorgenommen wird, kann man sich für die Folge leicht die nötige Menge Pflanzen heranziehen, welche, nachdem sie ein Jahr alt geworden sind, taugliche Blätter liefern. Das für die Bepflanzung eines Ar (100 qm) nötige Saatquantum beträgt etwa 50 g und kostet im Kleinhandel 50 Pfennig. Ein Ar, mit Scorzonera hispanica bepflanzt, liefert für 40000 Raupen das nötige Futter, welche mindestens 32.5 kg frische Cocons liefern.

Zur Aufzucht dieser 40 000 Raupen sind etwa 38,5 qm Stellagen in einem geschlossenen heizbaren Raume nötig. Diese Stellagen werden aus Latten zusammengeschlagen und mit Bindfaden überspannt, auf welche Packpapier gelegt wird, welches den Raupen als Futterplatz dient. Vier solcher Hürden, 60 cm übereinander, auf 10 qm Grundfläche reichen also zur Aufzucht obiger 40 000 Raupen. Nun beginnt aber die Schwarzwurzel sehr frühzeitig zu treiben und liefert, auch wenn sie beständig unter Schnitt gehalten wird, während des ganzen Sommers die nötige Futtermenge, so daß im Laufe eines Sommers mit Leichtigkeit drei bis fünf Zuchten großgezogen werden können. Der Ertrag eines Ar Landes läßt sich also auf 97,5 bis 162,5 kg frischer Cocons steigern. Für das Gelingen der Zucht ist nun, wie schon oben bemerkt wurde, die Temperatur des Zuchtraumes sowie ferner diejenige des Futters von Bedeutung. Das Futter muß die Temperatur des Zuchtraumes haben. Es wird also am Abend vorher geschnitten, mit einem trockenen Lappen Blatt für Blatt von Staub und Erde befreit und dann, in ein leinenes Tuch eingeschlagen über Nacht im Zuchtraume aufbewahrt. Die Temperatur beträgt vom 1. bis 5. Tage 20° R, vom 6. bis 9. Tage 19° R, vom 10. bis 30. Tage 18° R, am 31. und 32. Tage 20° R. Je gleichmäßiger die Temperatur ist, desto gleichmäßiger entwickeln sich die Raupen und desto gesünder bleiben sie. Das Schneiden des Futters, das Säubern desselben und das Füttern selbst sind so leichte Arbeiten, daß sie von Frauen und Kindern ausgeführt werden können. So ist die Seidenraupenzucht für die Hausindustrie wie geschaffen. Der einzige Mangel, der ihr jetzt noch anhaftet, ist die Heizung des Zuchtraumes. Im Sommer kommt dieselbe nicht sehr in Betracht, dagegen können kalte Tage im Frühjahr und Spätsommer die Betriebskosten wesentlich beeinflussen Um so wünschenswerter erscheint es, daß der von Professor Harz angedeutete Weg begangen wird. Dann dürfte auch die Zeit nicht mehr fern sein, in der die Seidenzucht als Hausindustrie bei uns in größtem Maßstabe betrieben werden kann. Aber schon jetzt ist sie jedenfalls viel lohnender als gar manche und dazu noch ungesunde andere Hausindustrie, so daß vom rein menschlichen Standpunkte aus zu wünschen wäre, daß sie bei uns die weiteste Verbreitung fände. Die Anlagekosten sind so gering, daß sie kaum nennenswert sind. Durch gemeinnützige Vereine könnte mit geringen Mitteln in gar manchem Dorfe durch Abgabe bakterienfreier Eier viel Gutes geschaffen werden. Mochten diese Zeilen dazu beitragen, daß der Seidenbau bei uns in Deutschland endlich festen Fuß faßt. Viele Millionen Mark, welche jetzt ins Ausland wandern, würden dem Vaterlande erhalten bleiben und gerade solchen zu gute kommen, die es ganz besonders nötig brauchen. Das ist eine Kulturarbeit, welche wohl des Schweißes der Besten wert ist!


Caligula und Tito.

Novelle von H. Rosenthal–Bonin.

Nach einer Woche dämmerig trüben milden Winterwetters war jetzt die Sonne wieder durch das Gewölk gebrochen und schien lieblich und warm auf die steil emporsteigenden Citronen- und Orangengärten, übergoß mit hellstem Gold die von Olivenbäumen umgebenen Landhäuser der Berge, die schwärzlichgrauen Felsen und das blaue Meer der Küste von Nervi, der bekannten herrlichen südlich von Genua gelegenen Winterstation. Die Rosen entfalteten wieder ihre üppigen Kelche und dufteten um die Wette mit den Veilchen; der Strand belebte sich mit Fremden und Einheimischen und die Kinder spielten wieder schreiend auf der Straße.

Am Strande fehlte jedoch eine dort bekannte Figur, nämlich der stets sauber und kokett gekleidete Maultiertreiber Oreste Lavigni, der hier immer bei schönem Wetter zu finden war und den Fremden seine Dienste anbot.

Oreste saß heute vor seinem sehr baufälligen Mauleselstalle im Dorfe Bogliasco, einer Häusergruppe hinter Nervi, und putzte seinen Somaro, seinen Maulesel.

Der Stall war dicht am Strande gelegen und bot eine prächtige freie Aussicht aus das Meer. Jedoch Oreste war heute so eifrig bei der Arbeit, sein Tier sauber zu machen – er benutzte diesmal hierzu sogar Schwamm und Bürste – daß er unter dieser Beschäftigung keinen Blick auf das Meer warf. Es schien ihm ganz gleichgültig zu sein, was für Dampfer in der Ferne zogen und welche Fischer draußen auf der blitzenden Flut an der Arbeit waren. Das hatte etwas zu bedeuten, es mußte ein wichtiges Ereignis bevorstehen, bei welchem sein Maulesel eine Rolle spielte. Und in der That verhielt es sich auch so – der folgende Tag war der siebzehnte Januar, das Fest des Heiligen Antonius, und an diesem Tage wurden die Tiere geweiht, das heißt, sie empfingen von der Kirche den Segen, auf daß sie für die Dauer des nächsten Jahres gesund blieben und der von ihnen gewünschte und erhoffte Nutzen durch keinen bösen Zwischenfall beeinträchtigt würde. Das war für Oreste auch eine höchst notwendige Sache, denn der Maulesel war sein einziger Besitz, sein Geschäft, sein Gewerbe, ja, das Tier war sein Ernährer. Zwar hatte der junge Mann die Schreinerei erlernt, er übte jedoch diesen Beruf schon lange nicht mehr aus. Erst war es ihm angenehmer erschienen, seinem Vater, der Gartenarbeit in den Villen Nervis besorgte, zu helfen, als Hobel und Säge zu führen. Dann starb der Vater plötzlich und hinterließ seinem Sohne nichts als das Maultier. Der junge Mann besann sich nicht lange. Die Gartenarbeit war ihm immer etwas langweilig gewesen, auch war er zu bequem, sein eigentliches Gewerbe, die Schreinerei, wieder aufzunehmen; so klopfte er denn seinen Maulesel liebevoll auf den Hals und ließ ihn Citronen und Orangen, Gemüse und Mehl nach Genua tragen, von wo er Holzkohlen und andere Waren zurückbrachte. Sein Hauptgeschäft jedoch, das erträglichste nämlich, war, die Fremden auf seinem Maultier in die Berge zu führen, und da sein Somaro gut genährt und gut erzogen war und Oreste sich einer bestechend hübschen Erscheinung erfreute, die er durch allerhand nationalen Schmuck noch besonders wirkungsvoll hervorzukehren verstand, so hatten er und sein Maulesel stets genug zu thun, und Oreste verdiente manche Lira mehr als alle seine Kollegen.

Morgen war nun Antoniustag; in dem Festzuge, den man für diesmal geplant, sollte sein Maulesel mitgehen, und es schien Oreste aus mancherlei Gründen wichtig, seinen Somaro zu putzen und zu schmücken; erstens, weil die Tiere zu der Segnung überhaupt reinlich erscheinen mußten, zweitens, weil die Tierbesitzer untereinander wetteiferten, die schönsten Tiere zu haben, und drittens wollte Oreste der Fremden wegen mit seinem Somaro Staat machen und diesen als den schönsten und prächtigsten zeigen! Daher dieser große Eifer heute, der ungewöhnliche Ernst und die Vertiefung, mit welcher der junge Mann die Toilette Caligulas – so hieß der Maulesel, wurde aber in der Abkürzung „Gula“ genannt – besorgte. In ganz Nervi war gleichfalls große Tierwäsche, in den Bauerngehöften auf den Bergen, wie in den Ställen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_176.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)