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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

,Freilich, goldene,’ war die Antwort, – ,man nennt sie Dividenden!’

Dieses Wort gefiel mir wieder ganz außerordentlich, und es machte mir den Glanz des Aktiengartens aufs neue lebendig. Ich hielt es für verwandt mit Rhododendron einem Wort, das auch seit langem wie ein fremder Vogel in meinem Kopfe herumschwirrte, ohne sich auf einen bestimmten Gegenstand niederzulassen und ich war nun wieder völlig mit mir selbst in Harmonie.

Wie lange ich diese Illusion mit mir herumtrug und wann ich über die wirkliche Bedeutung des Wortes Aktien endlich aufgeklärt wurde, weiß ich jetzt nicht mehr. Vielleicht erst nach dem Tode des guten Großvaters, als ich durch das Erbe jener bewußten Aktie Mitbesitzer des Aktiengartens wurde.

Ich war weise genug, niemals wieder in den Wundergarten meiner Kindheit zurückzuverlangen. Sein Bild jedoch steht unverlöschlich in meiner Erinnerung, es begleitete mich bis an die Schwelle des Jünglingsalters in Gestalt eines schönen Traumes, der häufig wiederkehrte; ich sah alsdann den Aktiengarten mit seinen Lichtern, wie er mir mit fünf Jahren erschienen war, ein Mädchen im weißen Kleide hielt mich an der Hand und sagte:

,Laß Dich nicht irre machen, die Aktien sind dennoch Bäume und ich heiße Viola.’

Das Mädchen wuchs mit mir, denn in jedem Traume war sie genau so groß wie ich, wir wollten zusammen durch den Garten, ohne den Boden zu berühren, und ich empfand eine namenlose Seligkeit. Einstmals aber blieb ich allein im Garten, eine große Traurigkeit befiel mich und beim Erwachen war ich fest überzeugt, daß meine Traumgefährtin gestorben sei. Von da an kehrte die beglückende Erscheinung nicht wieder.

Warum ich Ihnen diese Kinderei erzählt habe? Was ist dabei Merkwürdiges, werden Sie sagen, daß ein Kind sich über ein Fremdwort wundert und daß ein anderes Kind mit ihm im Dunkeln spielt? Aber was ist überhaupt merkwürdig? Kein Ereignis hat an sich eine Bedeutung, es fragt sich nur, was wir innerlich dabei erleben.

Es ist freilich schön, in einer Nacht wie dieser, an der Riva zu stehen oder über die Lagune zu rudern, aber jene venetianische Nacht in meinem kleinen poesieverlassenen Heimatsstädtchen hatte doch noch ein ganz anderes und zauberhafteres Gesicht. – Und glauben Sie mir, wenn ich heute vor die Wahl gestellt würde, welche schöne vergangene Stunde ich am liebsten noch einmal durchleben möchte, so würde ich sagen: Laßt alles andere tot und vergessen sein und gebt mir jenen Abend im Aktiengarten wieder und meine kleine fünfjährige Gefährtin dazu, denn nie habe ich das Angesicht des Glückes so nah’ gesehen wie in jener Stunde!

Ja, die Kinderjahre, sie sind die Zeit unserer menschlichen Vollkommenheit, wieviel verlieren wir und merken es nicht, wenn der große Sturm der Reifezeit über uns hereinbraust und das Kinderparadies zertrümmert! Das Kind übertrifft an Phantasie den größten Dichter, nur daß keine Kunde aus seiner Welt in die unsere dringt.

Nun werden Sie denken, daß ich ein sonderbarer Schwärmer sei. Aber was wollen Sie!? Die Einbildung ist des Glückes bessere Hälfte.




Die Wirren auf Kreta.

Von C. Falkenhorst. Mit Abbildungen nach photographischen Aufnahmen.

Als Gott die Welt geschaffen hatte, nahm er Blumen und Steine und füllte damit die Falten seines Gewandes. Die Blumen bedeuteten Glück und Freuden, die Steine dagegen Trauer und Unheil. Gott schwebte nun im Fluge über die Erde und ließ auf die verschiedenen Länder Blumen und Steine in gleichen Mengen fallen, als er aber über Kreta kam, riß die Falte seines Gewandes, in der sich die Steine befanden, und diese fielen auf das Eiland. Gott vergaß, Blumen zu streuen – und damit war Kretas Verhängnis besiegelt. –

Die Flaggen der Großmächte auf den Festungswällen von Kanea.

Also erzählt eine Legende, die im Christenvolke auf Kreta von Mund zu Mund geht und auch in vieler Beziehung auf die letzten hundert Jahre kretischer Geschichte paßt – aber doch nicht ganz wahr ist wie alle Märchen, Fabeln und Gleichnisse. Kreta ist heute unglücklich, aber von jeher war es nicht zum Unheil verdammt. Die Schöpfung hat das Eiland keineswegs stiefmütterlich behandelt. Felsen giebt es auf ihm freilich in wildester Fülle, aber nicht immer ragten sie so kahl zu dem blauen südlichen Himmel empor. Einst war Kreta vielmehr berühmt durch seine herrlichen Wälder, der Ruf seiner würzigen Kräuter drang nach drei Weltteilen und von dieser Insel holten einst Asien, Afrika und Europa wertvolle Heilmittel. Kreta war die Schatzkammer der „Apotheker“ und Aerzte des Altertums. So herrlich war die Natur, so mild waren die Lüfte, die über den grünen Bergen und blühenden Thälern strichen, daß man Kreta die „glückliche Insel“ nannte. Von ihr sang Homer:

„Kreta heißet ein Land in der Mitte des dunkelen Meeres,
Fruchtbar und anmutvoll, umwogt rings; siehe darin sind
viel’ unzählbare Menschen, die neunzig Städte bewohnen.“

Ja, das alte Kreta erfreute sich eines herrlichen Wohlstandes, feurige Weine gediehen auf seinen Hügeln und feurig waren die Lieder kretischer Dichter. Soll doch Thaletas von Gortyna einst die Spartaner durch seine Weisen von einer schweren epidemischen Krankheit befreit haben! Auf dieser Insel hat die Wiege vieler hervorragender griechischer Künstler und Philosophen gestanden. Gewiß, die herrlichsten Blüten, welche Menschen beglücken, haben sich einst auch auf Kreta üppig entfaltet, und daß sie heute verwelkt und verdorrt sind, daran ist nicht die Schöpfung schuld, sondern der Mensch allein. Nur zu häufig wurde die Insel durch Kriegsstürme heimgesucht, sie wechselte im Laufe der Geschichte oft die Herren, und das Maß des Elends ward voll, als sie vor etwas mehr als zweihundert Jahren von den Türken erobert wurde.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_216.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2021)