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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Her mit dem Blech!“ sagte sie dann endlich trotzig und warf ihren Namenszug möglichst unleserlich unter das Dokumente.

„Und nun komm!“ sagte der Dickus, „darf ich dir meinen Arm anbieten?“

„Auch noch!“ erwiderte sie unwillig.

„Nun, dann geh’ so hinter mir her!“ erwiderte der Vetter unbeirrt, „wir haben keinen weiten Weg!“

Und er führte den erstaunten Backfisch zum Klavier. „Hier – klapp’ ’mal auf!“ sagte er trocken.

Und da lag das Tagebuch – unversehrt – unentweiht auf dem Notenpult.

„Siehst du,“ bemerkte der Dickus und weidete sich an dem tödlich verlegenen Gesicht seiner kleinen Feindin, „wenn man jeden Tag übt, da findet man solche verlorene Schätze sehr rasch wieder!“

Lotte hatte inzwischen ihr Tagebuch ergriffen und fest – fest an sich gedrückt.

„Schön!“ sagte sie mit zuckenden Lippen, „du hast mich diesmal besiegt! Aber eins sage ich dir – leiden kann ich dich doch, nicht – jetzt nicht und niemals, und wenn ich achtzig Jahre alt werde! Ich finde dich gräßlich, daß du ’s weißt!“

„Na,“ sagte der Vetter und schmunzelte, „da gieb mir nur das neue Tagebuch wieder! Das habe ich dir nämlich geschenkt und von einem so schändlichen Menschen wirst du ja doch nichts annehmen wollen.“

Lotte stand einen Augenblick starr.

„Das hast du mir geschenkt?“ brachte, sie dann mühsam hervor, „das himmlische Tagebuch? Und das hast du gar nicht gesagt? Dickus, du bist entzückend – und ich danke dir tausendmal! Jetzt bin ich dir aber wirklich riesig gut, denn das war famos anständig von dir!“

„So?“ erwiderte der Dickus, „nun, das ist mir ja eine wahre Beruhigung, daß du mit dem Gutsein nicht warten willst, bis du achtzig Jahre alt bist. Da kriege ich am Ende auch das Tagebuch noch ’mal zu lesen – man muß nichts verreden.“

Und als Lotte lachend und kopfschüttelnd mit ihrem Kleinod aus dem Zimmer gesprungen war, sah ihr der Dickus mit unverkennbarem Wohlgefallen nach. „Ein niedliches Ding!“ murmelte er vor sich hin, und wenn diese Kritik nicht salonfähig war, so kam sie wenigstens von Herzen, und das ist auch was wert.

Lotte schrieb an diesem Abend zum erstenmal in ihr neues Tagebuch: „Mein Götterbuch, ich habe dich vom Dickus! wer hätte das gedacht! Der Dickus kann, am Ende noch ’mal ganz menschlich werden – heut’ war er wirklich nett!“

Wir wollen dem Leser aber nicht zu viel aus dem Tagebuch verraten – der Dickus kam mit der Zeit immer öfter darin vor. Und was noch mehr sagen will, er hat es später selber zu lesen bekommen – allerdings erst, als er mit Lotte verlobt war – da durfte sie doch keine Geheimnisse mehr vor ihm haben! Ja, wie das manchmal so anders kommt – es ist merkwürdig!


Blätter und Blüten.

Ein guter Rat für Leute, welche viel zu schreiben haben. Der Dichter der „Nibelunge“ Wilhelm Jordan berichtet in seinen „Episteln und Vorträgen“ sehr interessant über die Erfahrungen, welche er mit der Linksschrift machte. Als ihm nämlich eines Tages die übermüdete rechte Hand beim Schreiben den Dienst versagte, fing er an, sich mit der linken Hand im Schreiben zu üben. Hat man beim Rechtsschreiben die Gewohnheit, das Papier entweder so zu legen, daß sein oberer oder unterer Rand mit der Schreibtischkante gleichläuft, oder für das Auge noch bequemer so, daß die Zeilen in einem Winkel von etwa 30 Grad bergan laufen, so empfiehlt es sich nach Jordans Angabe, für die Linksschrift das Papier stets schräg und ebenfalls in einem Winkel von ungefähr 30 Grad, aber an der entgegengesetzten Seite hin aufzulegen, so daß es nach rechts geneigt erscheint und die Linksschrift von links oben nach rechts unten bergab geht.

Beim Linksschreiben würde nämlich – wenn man nicht etwa Spiegelschrift schreibt, wovon hier nicht die Rede ist – die schreibende Hand das entstehende Wort verdecken, falls man die Zeilen in gleicher Linie mit der Tischkante oder bergan laufen ließe, und dies Verdecken erschwert die Aufsicht, welche das Auge über die schreibende Hand beständig übt und üben muß. Dadurch, daß man die linkshändigen Zeilen bergab gehen läßt, wird das Verdecken des entstehenden Wortes einigermaßen vermieden. Fast ganz vermieden aber wird es durch eine zweite Maßregel. Während man bei der Rechtsschrift die Buchstaben meist etwas nach rechts geneigt sein läßt, empfiehlt es sich für die Linksschrift, sie vielmehr nach links zu neigen; die Feder giebt in diesem Falle die entstehenden Buchstaben fast so vollständig frei wie bei der Rechtsschrift.

Jordan widmete der Linksschrift täglich eine halbe Stunde, und schon nach vierzehn Tagen hatte er eine brauchbare zweite Schreibhand. Da die Linksschrift natürlich langsamer ging als die Rechtsschrift, so eignete sich diese besser zum Abschreiben, jene aber besser zur Niederschrift eines ersten Entwurfes. Jordan bekennt, daß die Rücksicht, die er auf die langsamer schreibende Linke nehmen muß, ihm zugleich ermöglicht, der Versuchung zum Ueberhasten des Satzbaues und der sprachlichen Wendungen zu widerstehen, welche durch das schnelle rechtshändige Schreiben leicht gegeben ist. Nach einigen Monaten zeigte sich, daß die linke Hand überhaupt an Geschicklichkeit zunahm. Sie drängte sich förmlich vor, um der rechten gleichsam zuvorzukommen, so beim Knöpfen der Kleidung, beim Aufziehen der Uhr, und das Ausführen gewisser schwieriger Stöße beim Billardspiel wurde erst durch die geübte Linke möglich. Jordan konnte bemerken, daß die Muskeln des linken Armes, der linken Brusthälfte, ja der ganzen linken Körperseite stärker wurden.

Noch merkwürdiger aber ist eine andere Beobachtung. Die ausgebildete Fertigkeit des Gehirnes, die Rechte schreiben zu lassen, erleichtert das linkshändige Schreiben ungemein, überträgt sich aber nicht unmittelbar auf die entsprechenden Bewegungsnerven; für die linke Hand muß eine andere Abteilung des Gehirnes in Thätigkeit treten, und so wird das Spiel der Nerven überhaupt reicher, behender und kraftvoller; Jordan hatte sogar die Empfindung, daß seine Gedankenwerkstatt um einen bisher unbenutzten Raum erweitert sei. „Eigenartig erfindsame Vorstellorgane von jungfräulicher Frische,“ schreibt er, „schienen fortan arbeitsfroh mitzuwirken.“ Eine Probe wird den Leser bald überzeugen, daß das nach Jordans Anweisungen betriebene Linksschreiben nicht schwer zu lernen ist.

Vogelschutzgehölze. Es ist eine bedauerliche Thatsache, daß unsere Singvögel an Zahl abnehmen. Zu den Ursachen, welche diese Verödung der heimischen Flur herbeiführen, zählt vor allem die Ausrottung der Feldgehölze und Hecken, die früher auf den Aeckern häufig vorkamen und den Vögeln willkommene Nistplätze und Schutzwinkel boten. Schon vor zwanzig Jahren hat Dr. Dieck in der „Monatsschrift des Sächsisch-Thüringischen Vereins für Vogelkunde und Vogelschutz“ auf diesen Uebelstand hingewiesen und die Anlage von Vogelschutzgehölzen warm empfohlen. Neuerdings hat der „Leipziger Tierschutz-Verein“ eine Flugschrift unter dem Titel „Vogelschutz durch Anpflanzungen“ vonDr. Carl R. Hennicke herausgegeben, in welcher diese Ratschläge weiter ausgebaut werden. Zur Anlage solcher Gehölze werden Bäume und Büsche, sowie Schlingpflanzen empfohlen, die durch dichte Belaubung oder dichtrankenden und struppigen Wuchs den Vögeln Schutz gewähren, oder auch durch ihre Früchte den gefiederten Sängern Nahrung bieten. Eine lange Liste dieser Gewächse ist in der betreffenden Schrift zusammengestellt.

Vogelschutzgehölze können an verschiedenen Orten angelegt werden. Zunächst eignen sich dazu Parkanlagen bei Privatgärten; ferner sollte man auf Feldern sogenannte Remisen oder Feldgehölze pflanzen. Man kann dazu recht wohl Stellen wählen, die sonst als Acker- oder Wiesenland nicht zu verwerten sind. Bei richtiger Wahl der Pflanzen können die Gehölze im Winter auch dem darbenden Haarwild Nutzen bringen. Es ist ja bekannt, daß z. B. Hasen im Winter Zweige und Rinde verschiedener Büsche viel lieber fressen als Heu und Kohlblätter, die man ihnen mit denselben ausgelegt hat. In ähnlicher Weise lassen sich auch Uferböschungen und Bahndämme zu Zwecken des Vogelschutzes ausnutzen. Schließlich läßt sich auch der Vogelschutz in dieser Hinsicht mit den Arbeiten der Verschönerungsvereine verbinden. Baumgruppen mit Heckengebüsch verleihen der Landschaft einen besonderen Reiz, und wenn sie dem Publikum nicht zugängig gemacht werden, können sie wahre Asyle für die gefiederten Sänger, wirkliche Vogelhaine bilden. Vogelfreunde finden in der erwähnten Schrift, die von dem Schriftführer des „Leipziger Tierschutz-Vereins“ Max Rabe, Leipzig, Hospitalstraße 21, zu beziehen ist, die nötigen Anweisungen. Wenn diese befolgt werden, wird der Erfolg nicht ausbleiben. „Pflanzt nur, die Vögel werden sich schon einstellen!“ *      

Ein hartnäckiger Emporkömmling. Zu den Inseln, welche aus dem Meeresschoße einmal ganz unvermutet emporgestiegen sind, um die trockene Erdoberfläche um ein winziges Stück zu vermehren, gehört auch das kleine Eiland Falcon im Tonga-Archipel. Im Jahre 1881 tauchte es aus den Wellen auf, wuchs sich schnell zu einem Inselchen mit schwacher Vegetation und hügliger, bis zu 50 m ansteigender Oberfläche aus und wurde von den Engländern für britischen Besitz erklärt. Aber dieser Zuwachs der britischen Krone war von kurzer Dauer, 1890 sank die Insel rasch, und bald zeigte nur noch ein kaum sichtbares Riff ihre Stelle an. Man gab sie auf, – zu früh, wie sich bald herausstellte, denn zwei Jahre später fand ein französisches Kriegsschiff Falcon als ein 10 bis 15 m hohes Felseneiland wieder und pflanzte seine Flagge dort auf. Auch wieder zu früh – schon 1894 war die ganze Herrlichkeit wieder verschwunden, und über den ehemaligen Besitz zweier Großmächte glitt der Kiel des Schiffes dahin, ohne Widerstand zu finden. Aber die Natur hat ihre Launen und bewährte sie auch hier: noch einmal ist Falcon vor kurzem aus dem Schoße der Wellen aufgetaucht, hat bereits eine Höhe von 15 m erreicht und ist nunmehr zur Herrschaft von Tonga geschlagen. Welche Revolutionen müssen sich hier unten am Boden der Tiefsee vollziehen, wenn dies ihre letzten Pulsschläge sind! Bw.     

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_259.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)