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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Einmal zur rechten Zeit.

Erzählung von Luise Westkirch.

Ein flacher Sandweg, der Wind fährt ungebrochen drüber hin. Eintönig rauschen die Wellen der Ostsee gegen den Strand, der platt und öde und kahl hier in die Flut fällt. Aber ringsum von hohen Ufern schauen in grünem Kranz üppige Buchenwälder in das blaue Becken der Kieler Föhrde. Mit gerader Linie einschneidend streckt ein Wasserarm sich tief hinein in das wellige Land, dem seine üppigen „Knicke“ – die hohen mit Haselnußstauden bepflanzten Erdwälle, die jede einzelne Koppel umranden – das eigenartige Gepräge einer australischen Buschlandschaft verleihen. Der Kanal, der alte Eiderkanal ist’s mit seiner hochgelegenen Sohle und seinem engen Bett. Aber nur wenig weiter den Strand hinab erhebt sich, fast vollendet, ein Cyklopenwerk, hoch in die Lüfte, bohrt sich tief ein in den Schoß der Erde, ein Gigantenbau, ein Wunder der Welt, die Schleuse des neuen Nordostseekanals. Nicht menschliche Hände scheinen ihre ungeheueren Sandsteinquader getürmt zu haben, nicht Menschenkraft scheint hier dem Element Gesetze vorschreiben zu wollen. Noch liegt ihr ungeheueres Becken trocken. Der Blick kann schwindelnd die Höhe der Wassertürme, die Tiefe der Sohle ermessen, auf der ein Schienengewirr sich hinzieht wie ein Netz, ausgeworfen, um die Naturkraft einzufangen. Dort schlagen noch drei Trockenbagger keuchend ihre Reihen Eisenzähne in das widerstrebende Erdreich, nagen es heraus und speien die ausgebaggerten Massen zum Takt der rasselnden Ketten in die bereitstehenden Wagen, die eine kleine fauchende Lokomotive, ungeduldig zur Abfahrt, den immer neu mit Erde gefüllten Riesenrachen unterschiebt.

Aber die Uhr in dem Türmchen der langen Holzbaracke hoch auf dem Ufer hebt zum Schlage aus. Mittag! – Von den Treppen, den Gerüsten die in dreifachem Gürtel den Schleusenraum durchziehen, klettern die Arbeiter, ein Ameisengewimmel. Mittag! In der Kantine steht das Essen fertig für die, die seiner begehren. Einige führen auch eigene Küche, kochen wunderliche Nationalgerichte auf noch unverwendeten Granitquadern, über die der Wind die rote Flamme weht wie einen glutgewobenen Schleier. Ein buntscheckiges Gewirr von Menschen und Trachten! –

Dort braten drei Italiener ihre Maccaroni, die farbigen Zipfelmützen auf dem Kopf, auf der braunen Brust, die das wollene Hemd freiläßt, das Amulett, das die Mutter bei der Firmelung ihnen umgehängt hat – lang’ ist’s her! in einem Felsen-und Räubernest irgendwo in den Bergen. Dort handelt der Kroat in haarlos gewordenem Schafpelz mit einem beweglichen Polacken in schmutzglänzender Schnürenjacke um eine Versteinerung, die jener beim Baggern gefunden hat. Langsam, mit wuchtigem Schritt wandelt der blonde Schwede durch das Gewirr zur Kantine. Er ist an gute Kost gewöhnt, an bessere als der Wasserpolack aus Schlesien, der seine Pellkartoffeln mit Branntwein anfeuchtet und seinen Lohn spart, um im Winter in der Heimat drei Monate lang ein Herrenleben zu führen. Und dem Schweden schließt der Holsteiner sich an, die Militärmütze schief über dem offenen, frohen Gesicht, stampft er dahin. Er gehört zu den Wenigen hier, die keine Vergangenheit haben, aber wohl eine Zukunft. Der nachgeborene Sohn eines Hofes ist’s. Erdarbeit war seine Bestimmung von der Wiege an. Der Staat bezahlt mehr als der Bauer, mehr als der Gutsherr, also arbeitet er für den Staat. Er läßt sich nichts abgehen, denn er braucht gute Nahrung, seine Muskeln sind sein Vermögen. Gleichwohl hat er ein wenig zurückgelegt. Ein paar hundert Mark wird sein ältester Bruder ihm als Abfindung herauszahlen: eine Muhme, deren Liebling der blauäugige Bursch von Kindesbeinen an gewesen ist, verwahrt für ihn im Bettstroh ein Sparkassenbüchlein. Rafft er all diese Habe zusammen, mag es ihm wohl gelingen eine Hufe Erde zu kaufen, ein Fleckchen Gartenland nahe bei einer großen Stadt, deren Markt er mit Gemüse und Obst, Geflügel, Eiern, Butter beschicken kann. Von solchem Unternehmen träumt er über seiner Arbeit. Eine Frau freilich gehört dazu, eine Frau mit verständigem Sinn und starken Armen, die den Handschlag nicht zählt und wägt, deren Arbeitskraft mit der sinkenden Sonne noch nicht niedersinkt.

Solche Frauen giebt’s in Schleswig und Holstein, diesseit und jenseit des Kanals. Ei ja, gewiß, gerad’solch eine Frau wie er sie braucht, kräftig, gesund und hübsch und lustig dazu!

Er lächelt, während er die Leiter hinaufklettert aus dem tiefen Schlund der Schleuse. Und dann hält er die Hand vor die Augen und steht verdutzt. Wer wandelt denn dort drüben den Sandweg entlang, zwischen den sparsam verstreuten Häusern? O, er kennt das Flattern dieses gestreiften Rockes mit dem breiten Sammetsaum, das Wiegen der Gestalt in dem knappen schwarzen Sammetmieder! Jedes windzerzauste Härchen kennt er, das unter dem weißen Vierländerinnenhäubchen um das rosige Gesicht weht. Die drallen Arme halten nachlässig ein leeres Servierbrett. Sie hat dem Ingenieur Morungen, der drüben in dem roten Hause wohnt, das Mittagsbrot gebracht, die Doris aus dem Schleusenkrug. Nun schlendert sie nach Holtenau zurück.

Der Anblick macht Wilm Lorensen das Herz warm. Sein Gesicht leuchtet. Er will hin zu ihr. Da plötzlich erblaßt er und seine Stirne kraust sich. Klettert da nicht schon der Peretti, der Italiener, den Damm hinauf? Daß er doch wie ein Faß in die Tiefe rollte! Was braucht der ausländische Wicht deutschen Mädchen die Köpfe zu verdrehen? Niemand weiß, wo er herkommt, was er etwa daheim auf dem Kerbholz hat! Aber mit seinen unvernünftig großen, pechschwarzen Zigeuneraugen funkelt er die Weiber an, bis sie die Besinnung verlieren, und obgleich er eine Sprache radebrecht, über die jeder Schulmeister die Hände ringen müßte. Sie lauschen wie behext dem Kauderwelsch, wenn er ihnen erzählt von den nackten Felsen seiner Heimat, die, umkreist von Adlern und Geiern, rot und weiß in die Wolken ragen, von Olivenhainen und Myrtenhecken, von goldstrotzenden Kapellen über blauen Seen, in denen Mädchen mit Spitzenmantillen und Fächern beten, vor denen Mädchen und Burschen am Marienfeste tanzen, in Holzschuhen, aber von anderer Form als die nordischen Holzschuhe mit ihren wärmenden Strohwischen, in Schuhen mit hohen, bunten Absätzen und an den Spitzen offen, so daß zierlich die nackten Zehen hervorleuchten.

Und mit einem Fluch ließ Lorensen sein Mittagsessen im Stich und beeilte sich, dem Italiener zuvorzukommen. Dabei sah er, daß noch ein Dritter, im Uferschilf stehend, dem Mädchen sehnsüchtig nachschaute, doch ohne sich zu rühren. Das war Peter Svensen, sein Landsmann aus Kappeln, ein schwerfälliger Bursche. Ei was – den wollte er schon ausstechen! … Doch diesen Peretti? Jetzt war er wirklich schon auf der Straße und jetzt bei dem Mädchen! Als Lorensen keuchend das Paar erreichte, war das Gespräch zwischen beiden im besten Gange.

„Mahlzeit, Fräul’n Doris. Is es woll erlaubt, daß ich ein büschen mit Sie da lang gehe? Ich – ich wollt’ auch ’mal nach Holtenau – .“

„Eh, Kamerad,“ knurrte der Italiener, „hat sich Signora schon Kavalier. Mach’ dich dünn! Pascholl –“

„Das werd’ ich thun, wenn Doris mich das selbsten sagt.“

Die Maid wirbelte zwischen den vollen Lippen eine Ringelblume und blickte schelmisch von einem ihrer Verehrer zum andern.

„Je, Herrens, so viel ich davon weiß, is der Weg für alle Menschens.“

„Das is er, bestätigte Lorensen grimmig. „Bloß, es is schade, daß er das is.“

Carambo“, sagte der Italiener, „deutsches Bär! – Peretti nix streiten vor der Signora. O, ich wollt, Sie könnt’ kommen in mein Land – Sie würd’ nix verlang’ zurück.

„Ankucken möcht’ ich mich das gans gern ’mal, Herr Perdü,“ versicherte Doris. „Ich mein’ man, es würd mich da ein büschen zu warm sein.“

„Sonnenschein! Sonnenschein! – Und abends tanzen, tanzen! die Mädchen mit Kastagnetten und Korallen – Korallen so dick! am Hals, an den Händen, in den Ohren! Korallen, überall Korallen!

„Korallens mag ich leiden,“ gestand Doris. „Auf ’n Kieler Umschlag war Ein, der hat ’n gansen Kasten voll.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_272.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2018)