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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 17.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.

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Trotzige Herzen.
Roman von W. Heimburg.

(16. Fortsetzung.)

Hede Kerkow konnte es nicht lassen, sie trug die kleinen Sächelchen, die sie für die Kinder gearbeitet hatte, am Heiligen Abend in der Dämmerung nach der Oberförsterei hinunter. Sie wußte, der Oberförster war nicht zu Hause, er pflegte an diesem Tage immer noch ’mal einen Gang durchs Revier zu machen, den Wilddieben zum speziellen Vergnügen, die auf einen Festtagsbraten pirschten. Es gab dort ein paar arg verrufene Kerle in der Gegend, die aber, wenn sie dem Oberförster auf der Chaussee begegneten, ganz besonders höflich grüßten und deren Gruß von ihm leutselig erwidert wurde. Der Grüßende dachte dann: Hol’ dich der Teufel! Der Kerl hat die Nase überall – ich wollt’, er fiele in sein eigenes Gewehr! – Und der andere dachte: Warte nur, alter Freund, einmal krieg’ ich dich doch, und wenn du noch so unschuldig daher trottest und – dann gnade dir Gott!

Hede hatte zuweilen durch den alten Knecht des Hauses grausige Geschichten von Wilddiebereien gehört, und als am vergangenen Weihnachtsabend der heimkehrende Oberförster erzählte, daß der „lange Schreiber wieder wildere“ und, vom Förster Roberti verfolgt, auf diesen geschossen habe, da hatte ihr das Herz still gestanden vor Schrecken. „Aber wenn der Schuß nun getroffen hätte? war ihre bange Frage gewesen. Darauf die Antwort. „Je nun, Fräulein von Kerkow, dann hätte man den armen Kerl seiner Frau zur Weihnachtsbescherung tot oder verwundet ins Haus gebracht, und der erste wär’s nicht gewesen, dem es so erging.

Weiter nichts – aber es war gerade genug. Hede Kerkow hatte seither immer Unruhe gehabt, wenn der Oberförster nicht zur rechten Zeit heimkehrte. Es wäre so schrecklich für die armen Kinder gewesen – damit hatte sie ihr klopfendes Herz entschuldigt vor sich selber. Heute ging sie so gegen fünf Uhr hinunter in die Oberförsterei. Sie wollte ganz rasch unter die Kinder ihre kleinen Gaben austeilen und dann in der Schloßkirche die Weihnachtspredigt anhören.

Heinz hatte seinem armen Jungen bereits um vier Uhr einbeschert. Die Augen des kranken Kindes hingen mit anderm Ausdruck an den Lichtern des Baumes wie sonst wohl Kinderaugen, und Heinz? Er war wortkarger gewesen als je und hatte imdunklen Erker gestanden und hinausgeblickt in die Ferne, als ob er dort etwas suchen müßte, so daß Hedwig zum erstenmal der Gedanke aufgestiegen war, ob er Toni doch vielleicht geliebt habe.

Heinz hatte der Schwester auch etwas geschenkt – Geld zu einem Kleide oder Mantel oder dergleichen.

„Nimm’s nicht übel, es ist mir schrecklich, Frauenzimmern Geschenke zu kaufen, ich versteh’ ’s nicht“, hatte er gesagt. Die Gabe von ihr hatte er kaum angesehen, es war ja auch schließlich weiter nichts – ein Bildchen Heinis Köpfchen nach einer Photographie auf Porzellan gemalt. Lieber Gott, eine Künstlerin war sie natürlich nicht, aber sie hatte doch gemeint, er werde sich darüber freuen!

Sie wischte eine Thräne von der Wange, als sie jetzt den Drücker an der Hausthür der Oberförsterei faßte, und im nächsten Augenblick hatte sie wirklich unter dem Jubel der Kinder das eigne Leid vergessen. Als ob das Christkind in eigner Person erschienen sei, so glücklich waren die Kleinen, so

Johannes Brahms.
Nach der letzten Aufnahme des Hofateliers von R. Krziwanek in Wien.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_277.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)