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Blätter und Blüten.

Anna Schepeler-Lette. In dem Artikel „Das Haus der Berliner Frauen“ hat Max Ring im Jahrgang 1874 der „Gartenlaube“, S. 400, die Gründungsgeschichte des „Vereins zur Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts“ erzählt. In dem Garten des Vaters der deutschen Genossenschaften, Schulze-Delitzsch, zu Potsdam wurde an einem Herbsttage 1864 das Los der unverheirateten Mädchen besprochen und der an diesem Gespräch teilnehmende, durch seine humanen Bestrebungen rühmlichst bekannte Präsident Adolf Lette faßte den Entschluß, jenes beklagenswerte Los durch die Gründung eines entsprechenden Vereines zu mildern. Am 26. Februar 1866 konnte der obengenannte Verein gebildet werden und begann unter dem Vorsitz und der Leitung Adolf Lettes seine gemeinnützige Thätigkeit zu entfalten. Nach dem im Jahre 1868 erfolgten Tode des Gründers übernahm der berühmte Professor von Holtzendorff die Leitung des Vereins, bis er im Jahre 1872 infolge von Ueberbürdung mit Berufsgeschäften sich genötigt sah, das Ehrenamt niederzulegen. An die Stelle der beiden hochverdienten Männer trat nun Frau Anna Schepeler-Lette, die Tochter des Gründers und die Erbin seiner Pflichttreue und seines unermüdlichen aufopferungsvollen Wirkens für das Gemeinwohl.

Anna Schepeler-Lette.
Nach einer Aufnahme der Photographischen Lehranstalt des Lette-Vereins in Berlin.

Frau Anna Schepeler-Lette wurde im Jahre 1829 zu Soldin geboren. Im Jahre 1848 begleitete sie ihren Vater nach Frankfurt a. M. und hier lernte sie den Großhändler Schepeler kennen, dessen Gattin sie wurde. Ihr Eheglück wurde leider durch Krankheit und Tod ihrer Kinder sowie ihres Mannes getrübt. Als Witwe zog Frau Schepeler-Lette im Jahre 1866 zu ihrem Vater nach Berlin und suchte im gemeinnützigen Wirken Trost und Erhebung. Ihrem klaren und praktischen Blick für die Bedürfnisse und die Erschließung von Hilfsquellen nebst ihrer ruhigen konsequenten Ausdauer im Verfolgen der einmal gesteckten Ziele verdankt der Verein sein ungeheures Wachstum und die glänzenden Erfolge seiner sämtlichen Anstalten. Es sind deren eine stattliche Zahl: Handels-, Gewerbe-, Frauenarbeits-, Zeichen- und Modellierschulen mit allen Haupt- und Nebenfächern, photographische Lehranstalt, Setzerinnenschule, Koch- und Haushaltsschule, Lehrkurse der feinen weiblichen Kunstarbeiten etc. Ueberall weiß die Leitung das praktische Bedürfnis zu Grunde zu legen und die entsprechende Schulung in mustergültiger Weise zu erreichen. Tausende verdanken heute dem Lette-Verein ihre Erwerbsfähigkeit und bürgerliche Existenz, sie alle haben sich am 23. April dankbar der edlen Frau erinnert, welche an diesem Tage vor 25 Jahren die Vereinsleitung übernahm und unter zahllosen persönlichen Opfern bis auf den heutigen Tag in so ausgezeichneter Weise führte.

Hexenreiten in der Priegnitz. (Zu dem Bilde S. 293) Die Walpurgisnacht, die dem 1. Mai, d. h. dem Tage der heiligen Walpurgis, vorangeht, stand bei unseren Vorfahren in üblem Rufe. In ihr sollten ja die Hexen auf Besen oder Böcken nach den Blocksbergen durch die Lüfte reiten, um am Hexensabbath mit dem Teufel teilzunehmen. In jener Nacht sollten auch alle dämonischen Kräfte besonders entfesselt sein und da sollte es besonders leicht fallen, verschiedene böse Künste auszuüben. Kein Wunder, wenn abergläubisches Volk in dieser Nacht besondere Furcht empfand. In den kleinen Städten der Provinz Brandenburg, namentlich in der Priegnitz, hat sich bis heute der Brauch erhalten, der an die alten Schrecken der Walpurgisnacht gemahnt. Am 30. April findet dort noch das Hexenreiten statt. Ein kräftiger Junge verkleidet sich mit Unterrock und Maske als Hexe, benutzt den Besen als Steckenpferd und rennt die Straßen entlang. Aber die Kinder des Orts sind auf seinen Empfang gerüstet, sie machen mit Kreide drei Kreuze an ihre Hausthüren und nachdem sie so ihr Heim gegen böse Geister gesichert haben, begeben sie sich auf Verfolgung der Hexe, die unter großem Gejohle aus der Stadt vertrieben wird.

Am Himmelfahrtstage in der Erlöserkirche zu Moskau. (Zu dem Bilde S. 297) In der Nähe des Kreml, der alten Krönungsburg der Zaren, erhebt sich am linken Ufer des Moskwaflusses die Erlöserkathedrale, die zu den schönsten und reichsten Kirchen der Welt zählt und zugleich eine russische Ruhmeshalle bildet. Sie wurde errichtet, um Gott Dank zu zollen für die Befreiung Rußlands von der Invasion durch die Heere Napoleon I.

Fünf gewaltige Kuppeln überragen das Gebäude, dessen Grundform ein gleichseitiges Kreuz bildet. Zur Vergoldung der Kuppeln allein wurden 422 Kilogramm Gold verarbeitet. Die Kirche erreicht eine Höhe von 102,6 m bedeckt eine Fläche von 6828 qm und der für das Publikum bestimmte Innenraum allein kann 7200 Menschen fassen. Außer religiösen Darstellungen schmücken die Kirche zahlreiche Tafeln, Gemälde und Skulpturen, die an Ereignisse aus der Geschichte Rußlands, namentlich aus den Jahren 1812 bis 1814 erinnern. Besonders prachtvoll ist im Innern der Erlöserkathedrale der Ikonostas gestaltet. Darunter versteht man die mit Heiligenbildern geschmückte Wand, die in griechischen Kirchen das Allerheiligste von dem Hauptraum trennt. Der Ikonostas der Erlöserkirche ist auf unserm Bilde sichtbar; er hat die Form einer achtseitigen Kapelle, die aus weißem, reich verziertem Marmor aufgeführt ist. In seinem Innern steht der Altar. – Die Kosten für den Gesamtbau der Kirche, die ein Prachtwerk der griechisch-byzantinischen Architektur darstellt, betrugen über 33 Millionen Mark.

Da die Erlöserkirche am Himmelfahrtstage im Jahre 1883 eingeweiht wurde, so findet alljährlich an diesem Festtage ein besonders feierlicher Gottesdienst statt, an dem sich einige der höchsten Würdenträger der russischen Kirche beteiligen. Eine solche religiöse Feier ist auf unserm Bilde dargestellt. Im Hintergrunde vor dem Ikonostas, stehen drei hohe Geistliche, zu beiden Seiten die Sänger. Instrumentalmusik findet in der russischen Kirche bekanntlich nicht statt, aber die Männerchöre sind namentlich in den Hauptkirchen prachtvoll und weltberühmt. W. Henckel.     

Italienische Straßensänger. (Zu dem Bilde S. 305) Einst waren die Straßensänger Italiens berühmt, denn es gab unter ihnen wahre Meister im Vortragen der Volkslieder. Ein solcher lebte noch vor wenigen Jahren in Neapel, es war der greise Don Antonio, vom Volke „Totonno o cecato“, der Blinde genannt. Don Antonio der Blinde kannte alle seit etwa 1830 erschienenen Volkslieder und war eine lebendige Anthologie dieser Litteratur. Er wirkte in Gemeinschaft mit seinem Führer, der die Baßposaune blies, während er selbst die Geige spielte, durch seine „imponierende“ Gestalt und – seine Kunst. Nichts Weibliches, keine bestechende Mignon, hatte der „Junggesell aus Notwendigkeit“, wie er sich lächelnd vorstellte, ergänzend an seiner Seite. In seinem ausdrucksvollen Dialekt beklagte er den modernen Verfall der von ihm vertretenen Kunst. Aber noch immer sind die Straßensänger eine typische Erscheinung italienischer Städte, das Bild des bunten Lebens auf Gassen und Plätzen belebend, und wenn die Lieder, die sie singen, sowie ihr Vortrag auch des künstlerischen Wertes ermangeln, so entsprechen sie doch dem Geschmack ihrer Zuhörer, die sich durch die Musik so gern in eine festfröhliche Stimmung versetzen lassen.

Elefanten beim Rettungswerk. (Zu dem Bilde S. 301) Verschiedene Afrikaforscher haben wiederholt in ihren Werken berichtet, wie Elefanten, falls ihre Artgenossen in Not geraten sind, denselben mit großer Besonnenheit Hilfe zu leisten pflegen. Am schlimmsten setzt den gewaltigen Tieren der Mensch zu. Die Jagdweisen der wilden Völker sind ja nur zu oft mit Grausamkeit gepaart. Am oberen Nil pflegen die Neger Elefantenherden im Dickicht zu umzingeln und dieses in Brand zu stecken. Da ist es vorgekommen, daß die gepeinigten Tiere sich um ihre Jungen scharten, sie mit ihren Leibern deckten und Wasser auf dieselben spritzten, um die schwachen vor den sengenden Flammen zu schützen. Ein anderes, von dem Forschungsreisenden H. Johnston beobachtetes Beispiel der Elternliebe beim afrikanischen Elefanten führt unser Bild den Lesern vor. Die Alten retten ein Junges, das in eine Fallgrube geraten ist, indem der eine den Rüssel um den des Kleinen legt und daran zieht, während der andere unter den Hals desselben drückt. Es wurde auch beobachtet, daß Elefanten einen erwachsenen Artgenossen aus der Fallgrube zu befreien suchten, indem sie mit ihren Stoßzähnen Erde am Rande der Grube aufwühlten und diese auszufüllen sich abmühten. *      

Poesie. (Zu unserer Kunstbeilage.) Unzählige Menschenherzen suchen und finden immer aufs neue im verschwiegenen Dunkel des Waldes den tröstlichen Zuspruch der Poesie, die mit milder Stimme alles Herzeleid sänftigt, allen Zwiespalt der Seele auflöst und in Einklang bringt mit dem Frieden der hier waltenden freien Natur. Auch als Muse des Waldes, Epheugerank im Haar, zeigt unser Bild die Poesie verkörpert, aber nicht in ihrer Eigenschaft als zutrauliche Trösterin der Menschen, sondern mit dem ernsten Ausdruck der Seherin und Prophetin. Ergriffen lauscht sie den Stimmen der Natur, deren Geheimnisse sie so tröstlich den Menschen entschleiert. Und in der Hand hält sie das Zeichen der Musen, den Lorbeer, eingedenk ihres klassischen Ursprungs und des hellenischen Gottes, der sie einst auf den Höhen des Helikon die hohe Kunst lehrte, die Stimmungen der Seele zu verklären im sanfttönenden Lied.


manicula       Hierzu Kunstbeilage X: „Poesie.“ Von Luise Mercier.


Inhalt: [ Inhalt der Wochen-Nr. 18/1897 ]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_308.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)