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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Lorbeer zu kämpfen. Die holde Schloßfrau aber war gnädig und bekränzte die Sänger alle, die sich zum Wettkampf gemeldet, und das Volk jubelte dazu.

Ritter vom Elefantenbunde.

Die Jagdknechte, in einer Ecke um den Humpen gelagert, logen das Blaue vom Himmel herunter, die Schuljungen sangen, die Fanfaristen bliesen sich die Kehlen trocken, und immer lustiger, immer fideler wurde es im Burghof.

Ich durchzog die mit herrlichen Fresken geschmückten Räume des alten Schlosses und fand einen stillen Erker mit Bank. Das kleine Fensterchen mit den Butzenscheiben zog ich in die Höhe und schaute bewundernd hinein in das wilde Sarnthal. Tief im Abgrunde rauschte die Talfer, wie die Ameisen zogen unten auf der weißen Straße die Menschen nach dem nahen Schloß Ried und zum Sarner Zoll, denn sie fanden nicht mehr Einlaß auf Runkelstein. Auf allen Hängen blühte und duftete der Frühling, die Vöglein sangen und – wahrhaftig, ich täusche mich nicht! Das ist nicht der Pfiff der Amsel, eine Nachtigall singt im Gebüsche der Wildrosen ihr erstes Lied –

„Unter der Linden
An der Heide,
Wo ich mit meiner Trauten saß,
Da mögt ihr finden,
Wie wir Beide
Blumen brachen und das Gras.
Vor dem Wald mit süßem Schall
      Tandaradei! –
Sang im Thal die Nachtigall.

Walthers von der Vogelweide tiefsinniges Liebeslied zog mir mit seinem jubelnden Klang durch den Sinn …

Es war dunkel geworden, so hatte ich die Zeit verträumt und der größte Teil der Gäste war schon nach Bozen abgezogen.

Und was hatten diese Voreiligen nicht für einen schönen Anblick versäumt!

Die Menschen unten im Schloßhofe waren fast alle im Kostüm. Die Jagdknechte, die Thor- und Turmwächter, die Schildknechte und Wehrmänner waren noch da und die Hauptsache: die Kellerwärtel in voller Zahl. Auch Schenkmädchen huschten hin und her und die ganze Scene wurde von Pechpfannen und Fackeln beleuchtet.

Ein gewaltiges Zechen hatte begonnen, die Spielleute bliesen, die Querpfeife gellte in die Nacht hinaus und dumpf wirbelte die lange Trommel dazu. Dort in der Ecke schnarchte ein bezechter Ritter, seine getreuen Knechte waren in das Würfelspiel vertieft, und dort der alte Bärtige knurrte, wenn einer der Spieler gar zu lange zögerte mit dem Wurfe. War doch der Humpen schon eine Weile leer!

Da und dort sprang einer der Mannen auf den Tisch zu kräftiger Rede oder klingendem Lied, und beides wurde ehrlich begossen mit St. Magdalener oder dem tückischen Riesling, der dem Zecher zu Kopfe steigt und in die Beine sinkt zu gleicher Zeit. Der Rauch aus den Pfannen und Fackeln wirbelte empor zu den Fenstern, Söllern und Zinnen der Burg.

Vorn am Brunnen saß ein gewappneter Mann, lehnte sich schwer auf seine Hellebarde und rückte den Schild mit des Vintlers Wappen auf seinem Rücken zurecht.

„Ein schönes Wappen hast, Herr Vintler,“ brummte er in den Bart. „Lieber wär’s mir, du könntest mit den drei Bärenpratzen jetztern kräftig zulangen, daß ich Menschenkind gesund den verwünschten Schloßberg herunter finde und hinaus gen Bozen.“

Ja, der Riesling auf Runkelstein ist ein tückischer Geselle!


Kriminalistische Gesichtsstudien.

Von C. Richter.
I.

Man nennt das Auge den Spiegel der Seele, und in der That drückt es die inneren Gemütsbewegungen mit überraschender Deutlichkeit aus. Milde und Zorn, Liebe und Haß strahlen und funkeln uns aus Menschenaugen entgegen; Trauer und Freude, rasches Denken und träges Sinnen werden uns durch den Blick verraten. Und wer kennt nicht den freien offenen Blick eines Menschen, der ein reines Gewissen hat, und den scheuen verstohlenen eines Schuldbewußten, der seinem Ankläger nicht fest ins Angesicht zu schauen vermag! Die Augen führen eine beredte Sprache, durch den Austausch der Blicke sagen sich die Menschen in kürzester Zeit oft mehr, als sie es durch Worte vermöchten.

Diese Fähigkeit der Augen, selbst die leisesten Regungen der Seele wiederzuspiegeln, hat auch den Anlaß zu der Behauptung gegeben, daß man von den Augen eines Menschen dessen Charakter abzulesen vermöge. Wir blicken einem ins Auge und glauben dann, sagen zu können: dieser ist mutig und jener ist ein Feigling, dieser ist ein gerader, offener Mensch und jener ein Heuchler und Schwindler. Von jeher hat man behauptet, daß gute und böse Menschen anders blicken, und so ist auch die Lehre entstanden, daß Verbrecher schon an dem Ausdruck ihrer Augen zu erkennen sind. Es giebt hervorragende Forscher, die dieser Meinung beipflichten. Lombroso, Garofalo, Vidocq und Ferri, die eingehende Studien über die Verbrecher gemacht haben, halten den Blick derselben für besonders charakteristisch. Der erstere von ihnen sagt: „Wenn der Verbrecher auch alle seine Gesichtszüge in Gewalt hat, so gelingt es doch dem größten Heuchler nicht, den Blick, der sein Innerstes verrät, zu verstecken. Ich finde eine große Aehnlichkeit zwischen dem Blick des Mörders und dem der Katze, wenn sie im Hinterhalt lauert oder zum Sprunge bereit ist, und ich erkläre mir das aus der beständigen Wiederholung der bösen Streiche. Ferner behauptet er, daß das Auge der Diebe klein, unruhig, oft schielend sei, während Fälscher und Schwindler kleine Augen, die sie niederschlagen, haben sollen. Andere gehen sogar so weit, daß sie sich zutrauen, aus der Art des Blickes verschiedene Arten von Verbrechern zu erkennen, Diebe von Raubmördern, Fälscher von Brandstiftern zu unterscheiden.

Noch leichter als am Blicke allein, soll man den Verbrecher am Gesichtsausdruck erkennen. Man hat darum von einer Verbrecherphysiognomie und einem „Galgengesicht“ gesprochen, das die Verworfenen von guten Menschen unterscheiden sollte. Gegen diese landläufige Anschauung haben wiederholt angesehene Männer Einspruch erhoben. Lavater, der doch ein begeisterter Physiognost war, warnte eindringlich vor der Anmaßung, „den Heiligen vom Spitzbuben schlechtweg am bloßen


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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_350.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)