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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Höre, Kind, mir ist heute nacht ein vortrefflicher Gedanke gekommen. Ich habe noch lange schlaflos gelegen, als du fort warst –“

Sie sah ihn gleich wieder besorgt an.

„Nein, nein, du brauchst nichts zu fürchten, es war ein ganz behagliches Wachen mit lauter schönen erfreulichen Gedanken. Was meinst du, wenn wir unsere Koffer packten, die Krankenstube hinter uns ließen und ausflögen wie andere Hochzeitsreisende – sagen wir einmal: an den Gardasee? Wäre dir das recht?“

Sie nickte mit begeisterten, glückseligen Augen.

„Da ist Sonne, strahlende Sonne!“ fuhr er in freudiger Erregung fort. „Und es soll auch hell und sonnig werden um uns! Denn schau, Hedwig, wir beide haben ja noch viel zu wenig Wärme und Sonne im Leben gehabt! Du mit deiner verkümmerten Jugend! Und ich, mein Gott, ich habe ja auch nichts gewußt als Arbeit und Bureau, immer nur das Bureau! Darum passen wir so gut zusammen, zwei arme Einsame, die alles versäumte Lachen und Küssen erst nachholen wollen!“

Er hatte sie nun fest an sich gedrückt und hielt sie so in zärtlicher Umschlingung, daß er das Klopfen ihres Herzens an seinem Herzen fühlte.

„Das schönste Fleckchen der Welt suchen wir aus für unser Glück,“ flüsterte er in ihr kleines, erglühendes Ohr. „Hier in diesen Räumen können wir unser neues Leben nicht anfangen, es hängt zu viel traurige Erinnerung daran. In voller Sommerpracht, in Reiseübermut, in Glanz und Jubel wollen wir ihn feiern, unsern richtigen Hochzeitstag!“




Aus der Vogelwelt.

Aufzeichnungen von J. G. Fischer

Am 4. Mai wurde in Stuttgart der schwäbische Dichter Johann Georg Fischer nach einem kurzen Krankenlager durch den Tod von diesem Leben abberufen. Ein hohes und glückliches Alter war ihm beschieden worden. Hat er doch, wie wie vor einigen Monaten (vgl. Jahrg. 1896, S. 731 der „Gartenlaube“) unseren Lesern berichtet haben, am 25. Oktober vergangenen Jahres seinen achtzigsten Geburtstag feiern dürfen, und bis auf die letzten Tage hat ihn das Alter nicht niedergebeugt. Rüstig stand er da und erfreute sich einer Geistesfrische, wie sie so Hochbetagten nur selten zu teil wird. Er arbeitete und schuf bis zu seinem letzten Atemzug und noch im April dieses Jahres übergab er uns ein Manuscript, das den Titel „Aufzeichnungen aus der Vogelwelt“ führt und uns den Dichter, dessen Lieder so innige Liebe zur Natur atmen, nicht nur als warmfühlenden sondern dabei auch scharf beobachtenden Naturfreund zeigt.

Schon vor mehr als einem Menschenalter, im Jahre 1863, hat J. G. Fischer ein interessantes Buch „Naturpsychologische Skizzen“ bei Fr. Brandstetter in Leipzig erscheinen lassen. Im Laufe der Jahre hat er auf diesem Gebiete weiter geforscht und hatte nun die Absicht, durch die Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen die Liebe zur Beobachtung der Natur, namentlich aber der Vogelwelt, in weitere Kreise zu verpflanzen.


Mir hat es schon als kleinem Knaben mein Vater angethan, wenn er mich in der Sonntagsfrühe oder Werktags „nach Feierabend“ mit in Feld und Wald nahm. „Hörst du, da schlägt eine Wachtel – vier- – fünf- – sechs- – siebenmal; die hat ihr Nest in der Saat auf dem Boden.“

„Siehst du dort das Finkennest auf dem Zwetschgenbaum?“ – „Und dort singt eine Lerche ihr Vaterunser bis in die Wolken.“ – „Aber wart’ nur, wenn der Wald kommt!“ – Doch schon ehe er kam: „Hörst du dort vom Laubholz her die Amsel? Die singt ja, man meint, es sei ein Choral, daß man’s eine Viertelstunde weit hört! Ja, Bub, und ich weiß ihr Nest.“ – Mir schlug das Herz, als er mich zu dem Nest mit den Eiern führte, wie es mir später schlug, wenn ich die wuselnden Jungen drin sah. So ward mir ein Amselnest der Inhalt meines damaligen Knabenideals. Solche Hingabe aber, sollte sie nicht Jüngerschaft haben, wenn sie auch nicht bis zu enthusiastischem Interesse sich steigert?

Solche Jüngerschaft sollte namentlich aus unsern Lehranstalten zu erhoffen sein. Der Dorfschüler lernt seine Tiere und Pflanzen kennen aus täglicher Anschauung und Erfahrung, und wenn die Dorfschule nur so viel wirkt, daß sie der rohen Behandlung des Naturwesens Einhalt thut, so mag sie auf ihrem Standpunkte das Genügende geleistet haben.

Von höheren Schulanstalten sollte gehofft werden dürfen, daß die Klagen aufhören: es komme auf Universitäten gar zu oft vor, daß Studierenden, zu deren Beruf z. B. Botanik gehört, die Elementarbegriffe dieser Wissenschaft bedauerlich abgehen. Die Universität kann doch nicht mit dem ABC beginnen, und wenn sie Linnés oder Jussiens oder eines anderen System behandelt, so sollte sie doch nicht auf das Alleranfänglichste, auf die reine Aeußerlichkeit von Begriffen wie Keim, Stengel, Blatt, Knospe, Blütenteile etc. zurückgreifen müssen, sondern ihre organische Bedeutung, ihre physiologische Aufgabe alsbald zum Gegenstand des Vortrags machen können. Die Zeit für botanische Exkursionen muß an den höheren Lehranstalten schon vor der Universität gefunden werden. Die alte Klage muß aufhören, daß eine Menge unserer „Studierten“ unsere Getreidearten, unsere Waldbäume, unsere wichtigsten und bekanntesten Vögel, unsere bedeutendsten Giftpflanzen nicht zu unterscheiden gelernt haben, nicht den Unterschied zwischen Knolle und Zwiebel kennen, nicht wissen, daß Hase und Reh sehr verschiedenen Tiergattungen angehören, daß Larven und Puppen verschiedene Dinge sind; dann wird es auch nicht mehr vorkommen, daß ein „Studierter“ einer gefangenen Schwalbe Milch und Semmel als Nahrung vorseht.

Sehen, durch Sehen sich interessieren und auf dem Weg des Interesses das Beobachten sich angewöhnen! – Wie viel können gebildete Berufe, von denen naturwissenschaftliche Kenntnisse nicht eben gefordert werden, von Pflanzen- und Tierformen lernen! Wie viel die Meister der Künste aller Art: Maler, Bildhauer, Architekten, Dichter, Dekorateure etc. davon gelernt haben, das erfährt man aus den charakteristischen Formen des Gesichts- und Muskelausdrucks in den Werken der Historien- und Tiermaler oder den duftigen Gebilden der Blumenmalerei. Unsere Dome und andere bewunderte Bauten, woher hätten sie ihr Säulenwerk, ihre Kapitäle, ihre Laub- und Kranzgewinde im Ornament, wenn diese nicht den Stämmen der Wälder, nicht den Blättern und Blüten, der Form wie der Stellung nach, abgesehen worden wären? Unsere Zeus-, Apollo-, Herkules-, Diana-, Pallas-, Venusgestalten, wie unsere Frauenherrlichkeiten in der Poesie, verdanken ihren Ruhm nur der Uebung tiefster und innigster Naturanschauung ihrer Meister.

Es kann nicht jeder, auch von denen, welche bessere Schulen besuchen, ein großer Baumeister, Maler oder Dichter werden; aber an der Natur und durch liebendes Versenken in sie fühlen, hören und sehen und vergleichen lernen, bildet den Geschmack, erhöht das Gemüt und erzieht zu dem, was uns alle vereinigen sollte – zur Humanität!

Und wie wert sind es doch namentlich unsere singenden Vögel, in ihren Gemütsäußerungen näher beobachtet und erkannt zu sein! Ein hochfahrender Linguist hat vor ein paar Jahrzehnten stolz ausgesprochen: „Nein! Die Tiere haben keine Sprache; der Mensch hat eine Sprache!“ Freilich, griechisch und lateinisch reden die Tiere nicht; aber daß griechische und ungarische, daß rheinische und schwedische Nachtigallen, daß ein schwarzwälder Sechzehnender und eine Hirschkuh in den Vogesen einander verstehen, ist für diese Tiere untereinander Sprache genug; selbst für uns Menschen, weil wir deutlich vernehmen, wie ihre Laute einander Liebe oder Haß, Frieden oder Krieg ankündigen. Und jener Philologe war erst noch selbst ein Singvogel, denn er war Poet!

„Hoffnungsreich“ und „wonneheimlich“ darf man sie nennen, die Laute, welche Vögel während des Nestbaues so verständnisinnig wechseln. Denn wie hochversüßt muß die Bauthätigkeit sein, die innen in der Höhlung des Nestes die Füße beschäftigt, um ihr die passende Form zu geben! Und wie glücklich muß die kleine Vogelseele sich fühlen, wenn das Weibchen mit selbstzufriedenem Ruf wieder abfliegt, um neues Baumaterial zu holen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1897, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_384.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2018)