Seite:Die Gartenlaube (1897) 397.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

der Einwohner am freiesten entwickeln ist der „Grenzgang“. Alle sieben Jahre wird dieser alte Volksbrauch unter einmütiger Teilnahme der Bewohnerschaft und unter dem Zulauf zahlreicher Gäste glänzend erneuert. Die Grenzbegehung wird dabei in Biedenkopf noch heute, wenn auch in anderer Weise als vor Jahrhunderten in den Zeiten schwankender Rechtsverhältnisse, thatsächlich über Berg und Thal vollzogen, und zwar dauert sie, mit allerlei fröhlichen Unterbrechungen, drei Tage. Von den humoristischen Episoden des Grenzganges sei besonders das „Widerhuppchen“ erwähnt, wobei die Angehörigen des jüngeren Geschlechtes in eigenartig nachdrücklicher Weise auf die Grenzsteine aufmerksam gemacht werden.

Ansicht von Hatzfeld.

Eine ähnliche Sitte wurde erst kürzlich in dem Artikel „Altdeutsches Kinderleben“ (vergl. S. 234 des laufenden Jahrgangs der „Gartenlaube“) als uralter deutscher Brauch beschrieben. Die Lustbarkeit genießt einen solchen Ruhm im engsten Vaterlande, daß stets einige der über dem Meere weilenden Biedenkopfer – es sind deren sehr viele – in dem Festjahre in die alte Heimat eilen, um eine der teuersten Jugenderinnerungen nochmals an der vollen Wirklichkeit aufzufrischen. Das nächste Grenzgangfest soll im Jahre 1900 stattfinden, und schon jetzt sind, da man ihm an der Wende des Jahrhunderts besonderes Gepränge zu verleihen gedenkt, die Geister im Städtchen erwartungsvoll darauf gerichtet.

Wem es eine Herzenssache ist, eine tiefere Kenntnis des deutschen Volkslebens in seinen mannigfaltigen Erscheinungen zu gewinnen, wem es insbesondere Freude gewährt, die verschiedenen, doch einem Mutterboden entsprossenen Stämme in ihrem unberührtesten Element, dem bäuerlichen, liebevoll vergleichend zu betrachten, dem kann man das bis jetzt von Fremden so wenig betretene hessische Hinterland zu einer gelegentlichen Studienfahrt bestens empfehlen.


Der „Kleine Hahn“.

Von Ludwig Ganghofer.

Er ist der ausgesprochene Liebling aller Jäger, die ihn kennen, jagen und hegen, sei es im Laub- oder Föhrenwald der deutschen Mittelgebirge, sei es im Moorland der Ebene, oder in den wirr verwachsenen Latschendickungen der Berge. Aber nicht nur die Jäger haben dem kleinen „schnackerlfidelen“ Birkhahn ihr Herz geschenkt, er ist auch, besonders im Hochland, die heiße Sehnsucht so manch eines halbwüchsigen Burschen, dem der erste Bart auf der Lippe sproßt, und auch noch so manch eines alten Hallotri, dem schon das erste „Schneeberl“ aufs Haar gefallen. Der Wunsch, das selbsterbeutete „krummbe Federl“ auf’s Hütlein stecken zu können, hat schon so manch einem, der um keinen Hirsch oder Gemsbock zum Wilddieb geworden wäre, die Büchse zu einer heimlichen Pirsch in die Faust gedrückt. Freilich hat solch ein lustiger Auszug zum „Hoh’salz“ auch oft schon ein trauriges Ende gefunden, bei dem es nicht mehr um ein „Federl“ ging, sondern um Tod und Leben – und wenn dann die Schleier der Morgendämmerung über den beschneiten Graten zerflossen und die Frühlingssonne warm und goldig emportauchte über die Zinnen der Berge, leuchtete sie nieder auf einen kalten Mann, welcher still gebettet lag im rot gefärbten Schnee.

Nach solch einem Morgen haben wohl die Hähne des Reviers, in dem die Tragödie sich abgespielt, eine Zeit lang Ruhe vor unberufenen Schützen. Aber das Grauen, welches die blutgetränkte Stätte umwittert, hält selten länger an als bis zur nächsten Balz. Und wer das Leben, den Charakter und das „roglige“ Blut unserer Bergler kennt, wird ihre nimmerstille Sehnsucht nach dem „Hoh’ mit’n krummb’n Federl“ auch begreifen. Der einsiedlerische, scheu im dunklen Tann versteckte Auerhahn steht bei weitem tiefer in ihrer Wertschätzung; tausend „Schnaderhüpfeln“ und „G’stanzln“ aber wurden schon dem lustigen Spielhahn gesungen, diesem flinken, unermüdlichen Frühlingsfänger und kampflustigen Don Juan, in welchem der junge, rauflustige und leichtlebige Bergler gleichsam ein Ebenbild seiner selbst erblickt. Und der Tanz, den er am meisten liebt, der Schuhplattler – er ist nichts anderes als eine ländlich sittliche Nachahmung der Spielhahnbalz und ihres drollig fidelen Minnewerbens. Diese Aehnlichkeit ist auch dem Volk der Berge klar bewußt, denn wenn ein gewandter Tänzer bald schnackelt und stampft, daß Boden und Fenster zittern, bald wieder lautlos schleifenden Schrittes die mit fliegenden Röcken sich wirbelnde Tänzerin umkreist und dabei die Arme nach rückwärts streckt, wie der balzende Hahn seine zitternden Schwingen trägt – so singen ihm wohl die Zuschauer das rühmende „G’stanzl“:

„Der draht si’ und plattelt,
Wie’s koaner net ko’,
Und rodelt und grugelt
Und blast wie r ’a Hoh’!“

Was Wunder, daß zu solchem Tanz auch das „krummbe Federl“ aufs Hütl gehört – und wär’s nur deshalb, daß der jauchzende Tänzer, wenn er zum letzten Geigenton sein Dirndl hochauf „geschwungen“ hat, im übermütigen Vollgefühl seiner Kraft das Hütlein drehen und mit rauflustiger Herausforderung die gebogene Feder nach vorne stellen kann, wie einen zum „Hackln“ gekrümmten Finger!

„Von Königssee bis Garmisch’ nauf
Is grad a so a Trumm,
Und hon i a krummbs Federl auf,
So stößt ma’s koaner um!“

Daß solch ein vielumsungenes „Federl“ sich nicht beim Krämer um ein paar Nickel kaufen läßt, das ist wohl selbstverständlich! Es muß im kalten Schnee mit heißer Mühe

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_397.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)