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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

entfernt von der industriellen Ausbeutung derartiger Schicksalsfälle und wird das Nachlassen des Wetters mit ebensoviel Erleichterung begrüßen wie die verunglückten Bergwanderer selbst. Eine nur unter diesen betrachtet das unliebsame Intermezzo als Gewinn: die lebhafte Schriftstellerin, welche die Gelegenheit zum Studium des tiroler Gebirgsvolks nicht unbenutzt vorüber lassen will, aber auf ihre vielen Fragen die zweideutig schlauen Antworten erhält, deren verborgener Sinn die große Heiterkeit der zuhorchenden Bauerngemüter erregt. Eine Ahnung davon scheint ihrer schweigenden Nachbarin aufzugehen, während die männlichen Geistesgrößen der Gesellschaft sich von den Vorgängen in der Hütte ganz abkehren und nicht nur den Wiederabstieg ins Thal, sondern, an der Hand des Taschenfahrplanes, den Rückzug überhaupt besprechen. Sie haben es satt, gründlich satt, das ewige Regenwetter, sie werden diesem allzu grünen Zillerthal den Rücken wenden und nach ihren Städten zurückkehren, wo es sich auch im Regen angenehm und bequem lebt. Und ihre Damen sind, wie immer, ganz derselben Meinung.

Das alles liest man mit stiller Belustigung aus dem Bild des Meisters, der uns schon so viel prächtige Schilderungen aus Tirol malte und hoffentlich noch viel weitere schenken wird! Bn.     

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 Valle Penitente.
Nieve Penitente. 
Der Aconcagua. 

Hans Ferdinand Maßmann. Trübe Zeiten herrschten in Deutschland nach den glorreich ausgefochtenen Befreiungskriegen. Napoleons Macht war gebrochen, das Joch der Fremdherrschaft abgeschüttelt, aber diejenigen, die das deutsche Volkstum geweckt und zum Kampf gegen die äußere Vergewaltigung aufgerufen hatten, sahen sich in ihren schönsten Hoffnungen getäuscht. Dem Gedanken der Einigung und freien Ausgestaltung Deutschlands war in der Reaktion ein neuer Feind erstanden. Damals, im Jahre 1819, mußte auch einer der eifrigsten Jünger des Turnvaters Jahn den Druck der Verfolgung fühlen. Es war der zweiundzwanzigjährige Hans Ferdinand Maßmann. Aus Erlangen, wo er Naturwissenschaften studieren wollte, wurde er ausgewiesen und in Eisenach, wo er nach einem angestrengten Marsche ausruhen wollte, ihm das Rasten verboten. So zog er weiter und auf dem Wege zwischen Eisenach und Jena dichtete er das herrliche Lied: „Ich hab’ mich ergeben“.

Das Lied wurde volkstümlich wie wenige andere und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt hat es in den Herzen der heranwachsenden Jugend die Liebe zum Vaterlande gestärkt. Es genügte schon allein Maßmann ein treues Andenken im Herzen des deutschen Volkes zu sichern, aber auch ohne dieses dichterische Vermächtnis bleibt Maßmann als einer der eifrigsten Streiter für das Deutschtum für uns unvergeßlich.

Vor hundert Jahren, am 15. August 1797, erblickte er als Sohn eines Berliner Uhrmachers das Licht der Welt. Frühzeitig wurde er mit Jahn bekannt und zählte bald zu seinen eifrigsten Schülern. Vor allem zeichnete er sich durch Abhärtung und Bedürfnislosigkeit aus, zwei Eigenschaften, die er sich für sein ganzes Leben bewahrt hatte. „Maßmann wandert auf Hunger und Durst“ hat einmal Jahn im Scherze gesagt. 1815 nahm Maßmann am Feldzuge teil, studierte dann, nach Berlin zurückgekehrt, Philologie und wirkte mit Jahn und Eiselen an der Ausgestaltung der deutschen Turnkunst. Er ging auch nach Jena, um an der burschenschaftlichen Bewegung teilzunehmen, wurde hier zu einem der Urheber des im Jahre 1817 abgehaltenen Wartburgfestes und setzte die Aufsehen erregende Verbrennung von Büchern „vaterlandsschänderischer“ Schriftsteller (Kotzebue, Haller u. a.) auf dem Wartenberg in Scene. Damit hatte er sich den Haß der Reaktion zugezogen, die staatliche Laufbahn als Lehrer schien ihm verschlossen, und so wandte er sich Privatstudien zu, wobei er häufig seinen Wohnsitz wechselte.

Gleich Jahn widmete sich Maßmann eifrig dem Erforschen der ältesten Denkmäler der deutschen Sprache und trat eine Reise durch Deutschland an, um in Bibliotheken mittelalterliche Handschriften zu prüfen. So kam er auch nach München, wo er einen ihm zusagenden Wirkungskreis fand. König Ludwig I war dem Turnen freundlicher gesinnt als andere deutsche Fürsten. Maßmann leitete in München den Turnunterricht am königlichen Kadettenkorps, wurde Turnlehrer der königlichen Prinzen Max und Otto und wurde auch zum Professor an der Universität ernannt.

Als man zu Anfang der vierziger Jahre das Turnen auch in Preußen wieder aufnahm, wurde Maßmann von der preußischen Regierung nach Berlin berufen. Er erhielt zwar eine feste Anstellung, aber es ergaben sich zwischen ihm und den leitenden Kreisen Meinungsverschiedenheiten über die Neugestaltung des Turnwesens. 1852 wurde er zur Disposition gestellt und konnte nunmehr seinen litterarischen Arbeiten leben. Im Jahre 1860 wurde er von einem Schlaganfall getroffen und verfiel allmählich in ein langwieriges Siechtum. Er starb am 3. August 1874 in Muskau. In seinem Nachlaß fand sich noch eine Anzahl unbekannt gebliebener Turn- und Vaterlandslieder vor, die demnächst veröffentlicht werden sollen.*      

Der König der amerikanischen Berge. (Mit Abbildungen.) In Argentinien, hart an der chilenischen Grenze, erhebt der Aconcagua sein mit ewigem Schnee bedecktes Haupt 6970 m über den Meeresspiegel. Er ist der höchste gemessene Berg Amerikas und bildete seit lange das Ziel vieler Forschungsreisenden. Erst zu Anfang dieses Jahres gelang jedoch seine Besteigung einer Expedition, die der Engländer E. A. Fitzgerald ausgerüstet hatte, und zwar war ein Deutsch-Schweizer Matthias Zurbrüggen der Führer jener Expedition, der erste, der am 14. Januar seinen Fuß auf die höchste Zinne der Neuen Welt setzte. Schon im Jahre 1883 hatte ein deutscher Gelehrter, Prof. Dr. Paul Güßfeldt, Forschungsreisen im Gebiete des Aconcagua unternommen und den Berg bis zu einer Höhe von 6400 m erstiegen. Er hat die Ergebnisse seiner Reisen in einem anziehenden Werke „Reise in den Andes“ (Berlin, Verlag von Gebrüder Paetel, 1888) niedergelegt. Demselben hat er auch ein Album trefflicher Ansichten des Aconcagua nach photographischen Aufnahmen beigegeben. Die erste unserer Abbildungen zeigt uns eine dieser Aufnahmen. Wir blicken in das über 3000 m hoch gelegene Valle Penitente, das Büßerthal, das, von hohen Bergen eingerahmt, einem Fjorde ähnlich sieht. Im Hintergrunde dieser majestätischen Hochgebirgslandschaft erhebt sich das schneeige Haupt des Aconcagua. Das Büßerthal hat seinen Namen von eigenartigen Schneebildungen erhalten, die unsere zweite Abbildung zeigt und die von den Eingeborenen Nieve penitente, d. h. Büßerschnee, genannt werden. Wind und Sonne bringen diese eigenartigen Bildungen zu stande. Der Wind furcht zunächst die Oberfläche des Schnees, indem er ihn wie den Dünensand zu welligen Hügeln auftürmt. Auf diese Leisten und Vertiefungen wirkt die südliche Sonne mit voller Kraft ein und ihre schmelzenden Strahlen bearbeiten die vergletschernden Schneeblöcke wie der Bildhauermeißel den Stein. So entstehen ausgezackte Figuren, die oft Gestalten von Menschen vortäuschen und der Phantasie den weitesten Spielraum lassen. *      


Inhalt: [ Inhalt der Wochen-Nr. 36/1897 ]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_612.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)