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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Eine Entführung.
Novellette von H. von Schreibershofen.
Mit Illustrationen von Arthur Kampf.

Das Fest in den schönen Räumen der Kommandantur näherte sich seinem Ende, die zahllosen Wachskerzen waren tief heruntergebrannt, die letzte Quadrille wurde getanzt. Dann neigten sich die gepuderten Köpfe der Damen und ihrer Kavaliere noch einmal gegeneinander, die Reifröcke rauschten, die Fächer klapperten, und die Rufe nach den Wagen und Sänften klangen durch den weiten Hof.

Frau Gräfin Schwichard ließ sich im Garderobezimmer den Pelz um ihre vollen, noch immer schönen Schultern hängen. Neben ihr stand die schlanke, zierliche Gestalt ihrer Tochter Armgart, ebenfalls in einen weiten, warmen Pelzmantel gehüllt, aus dem sich ihr reizender Kopf wie eine Wunderblume emporhob. Das hoch aufgebaute, gepuderte Haar war mit Rosen geschmückt, unter den feingezeichneten Augenbrauen leuchteten dunkelblaue Augen in sanftem Feuer und um den schön geschwungenen Mund spielte ein träumerisches, unendlich liebliches Lächeln. Sie schien ganz das Gegenteil ihrer stolzen, energischen Mutter, doch hätte ein scharfer Beobachter wohl die Aehnlichkeit in einzelnen Zügen herausgefunden. Namentlich jetzt, wo das junge Mädchen alle Willenskraft aufwandt, um die sie beherrschende innere Erregung äußerlich zu bemeistern. Der schönste junge Kavalier der Gesellschaft, der soeben in der letzten Quadrille ihr Partner gewesen, hatte gleich beim Beginn derselben ihre Hand leise gedrückt, den Blick seiner glänzenden braunen Augen tief in die ihren gesenkt und, während sie sich eine feierliche Reverenz machten, in hastigem Flüstern gefragt, ob sie seinen Vorschlag in Erwägung gezogen habe. In ihrer Verwirrung hatte Armgart sich nach der falschen Seite gewendet, aber noch Zeit gefunden, ihr heftig errötetes Köpfchen zu schütteln. Bei nochmaliger Begegnung in den Windungen der Quadrille hatte sie ihm ebenso eilig und leise bedeutet, sie wolle die Hoffnung auf ihrer Frau Mutter Einwilligung noch nicht ganz aufgeben, worauf er mit heißem Flehen im Blick versetzte, er werde heute wie immer auf das Zeichen warten, es sei alles vorbereitet. Wie hatte ihr Herz aufgejauchzt und doch so angstvoll gebebt bei seinen Worten! Ach, stände der schöne Mann ihr nur gleich an Familie und Vermögen …

Eine Bewegung ihrer Mutter entriß sie ihren Träumen. Ein gebieterischer Wink der Gräfin scheuchte den Lakaien hinaus, und die stattliche Dame machte eine halbe Wendung nach ihrer Tochter hin, anstatt nach der Thüre zu, hinter welcher General von Hoppestedt, der Stadtkommandant, auf sie wartete, um sie an seiner Hand die Treppe hinabzuführen.

„Sie haben die letzte Quadrille wieder in Unordnung und Ihren Tänzer dadurch in die größte Verlegenheit gebracht,“ redete die Gräfin französisch auf die Tochter ein. „Eine Komtesse Schwichard darf sich solcher Zerstreutheiten nicht schuldig machen, denn aller Augen sind auf sie gerichtet. Ihre Erziehung, Armgart, ermüdet mich, ich werde sie andern Händen anvertrauen! Morgen um 11 Uhr werden Sie bereit sein, meinen Vetter, den Grafen Trosche zu empfangen, der Ihre Hand für seinen Sohn erbeten hat. Ich habe eingewilligt, die Sache ist abgemacht.

Die Gräfin verließ das Zimmer, ohne ihre Tochter anzusehen.

Komtesse Armgart blickte sich wie geistesabwesend um. In ihren Augen lag eine stumme Verzweiflung, ihr Pelz beengte sie zum Ersticken. Sie riß ihn auf, sah sich um – da fiel ihr Blick auf den Spiegel, aus dem ihr bleiches Antlitz fast entstellt heraussah. Auf ihrem Haar schwankten die Rosen – – beim Anblick dieser Blumen kehrte die Farbe in ihre jäh erblaßten Wangen zurück, sie richtete sich gewaltsam auf, ihr Ansatz erhielt einen anderen, sehr entschiedenen Zug, und langsam ließ sie einen ihrer Handschuhe zur Erde gleiten. Dann löste sie geschickt eine Rose aus dem Haar und ging hinaus. Draußen hob sie die Rose zweimal empor an ihre Lippen, ließ sie darauf fallen und eilte ihrer würde voll am Arme des Generals vorwärts schreitenden Frau Mutter hastig nach, so hastig, daß sie auf die Schleppe der Gräfin trat – ein peinlicher Zufall, der einen Aufenthalt verursachte. Armgart entschuldigte ihre Ungeschicklichkeit, doch die Mutter würdigte sie keiner Antwort. Erst als die Komtesse wegen des zurückgelassenen Handschuhs nochmals umkehrte und eine abermalige Verzögerung entstand, konnte die Gräfin einige scharfe Worte nicht unterdrücken. Denn um einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_652.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)