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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 40.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.

Einsam.
Roman von O. Verbeck.

(9. Fortsetzung)

22.

In dem altdeutschen Trinkstübchen deckte August den Tisch.

Hier oben wurden seit dem Tode der Mutter die Mahlzeiten eingenommen, wieder ganz wie zu Ludwigs Junggesellenzeit, um der Ungemütlichkeit des langen, anspruchsvollen Speisesaales auszuweichen. Mit seiner kleinen Kredenz, seinen verschiednen tiefen Wandschränken und –tischen bot das eichengetäfelte heimelige Gemach Raum genug zur Unterbringung der täglich nötigen Tischgerätschaften. Es lag, mit seinen beiden Fenstern auf die Straße schauend, als gemütliche „Kneipecke“ für kleinere gesellige Zusammenkünfte gedacht, um aber der vielfältig eingeteilten Räumlichkeiten des oberen Stockes durch eine Thür mit dem nach dem Park zu gelegenen Rauchzimmer verbunden. In diesem Raum, dessen viel größere Höhe man durch Hinzunahme des Kellergeschosses erreicht hatte, führte eine schmiedeeiserne, gewundene Treppe direkt auf das flache Dach und in einen ziemlich großen, sehr reizvollen, mit Säulchen umstandenen rankenverhangenen Semiramisgarten; vereinzelte Male hatte man zu Zeiten des Sommers hier unten gespeist, sehr zur stillen Unzufriedenheit der Dienstboten, die mit Schüsseln und Tellern die „halsbrecherische“ Wendeltreppe auf- und abklettern mußten, da der Aufzug wohl bis zum Korridor des oberen Stockes, aber nicht bis aufs Dach hinaus reichte. Jetzt freilich war diese Thür ins Freie seit vielen Wochen schon fest verschlossen und doppelt verwahrt.

August sah, ohne sich in seiner Orientierung zu unterbrechen, mit einem schrägen Seitenblick seiner Herrin nach, die in ihrer rastlosen Wanderung von Zimmer zu Zimmer eben wieder hier eingetreten war und nun in einer der durch vorgebaute Schränke gebildeten tiefen aufgetreppten Fensternischen stand und zu den farbig umrandeten Scheiben hinausschaute. Ein Fieber schien sie umherzutreiben, denn nach kaum einer Minute hatte sie das Zimmer wieder verlassen. Wie im Fieber glühte ihr auch das Gesicht. Das mußte doch wohl mit dem alten Pfarrer zusammenhängen. Ueber eine Stunde war er hier gewesen. Wenn das der Herr wüßte! Ihn, August, traf kein Vorwurf. Was konnte er dafür, daß die Frau ihn vom Fenster aus hatte kommen sehen!

Als Thomas gegen drei Uhr zum Speisen nach Hause kam,wunderte er sich, seine Frau schon oben

Pfeifunterricht.
Nach dem Gemälde von C. Schloesser.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_661.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2021)