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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Arnold Böcklin.
Zum siebzigsten Geburtstag des Meisters.

Etwas unterhalb Fiesole bei Florenz, am Abhang des Berges liegt ganz im Grün versteckt eine schöne Villa mit Marmorterrassen, schattigem Park und prachtvoller Oleanderallee, die noch in später Jahreszeit ihre flammenden Blüten trägt; dichte Olivengärten ziehen sich von hier bis ins Thal hinab, und unten glänzt wie ein kunstreiches Schmuckstück in schön gewölbter Schale die Arnostadt mit ihren Kuppeln und Palästen.

Auf diesem entzückenden Fleck Erde, der seit kurzem sein Eigentum ist, feiert Arnold Böcklin am 16. Oktober dieses Jahres unter Kindern und Enkeln seinen siebzigsten Geburtstag.

Wo Arnold Böcklins Name ausgesprochen wird, da fallen die engen Wände der Wirklichkeit ein, alles Triviale schwindet, und auf geht eine Welt der Phantasie in jugendlichster Glorie:

„Aller Sonnenschein und alle Bäume,
Alles Meergestad und alle Träume.“

Landschaften von leuchtenderen Farben, durchsichtigere Wasser und tieferer Stimmung als alles im Leben Gesehene, bevölkert von den Gestalten der griechischen Fabelwelt. Wer kennt sie nicht, seine Centauren, seine Faune und Tritonen, seine Quellnymphen, Meerweiber, Sirenen und Drachen, ebenso tiefsinnig wie lebensfrisch, in denen reinster Schönheitssinn und ausgelassener Humor sich paaren?

Ungleich jenen vergänglichen Größen, denen unehrerbietige Jugend den Kranz noch vom lebenden Haupte reißt, steht Böcklin heute auf dem Gipfel seines Ruhms. Ihm kann die Mode nichts nehmen, wie sie ihm nichts gegeben hat; den Platz, den er einnimmt, hat er ohne sie, ja, unter ihrer Gegenwirkung erlangt. Sein Leben lang befolgte er Schillers hohen Spruch: „Gieb deiner Zeit was sie bedarf, nicht was sie fordert!“ – er gab ihr die Aepfel der ewigen Jugend, als sie nach Kartoffeln schrie, gab ihr den goldenen Traum, das verlorene Ideal, statt der verlangten dürren Wirklichkeit. Denn die Besten können nur das Beste geben, das heißt sich selber, und sollten sie dabei zu Grunde gehen. – Darum hat ihn das Leben auch nicht gehätschelt, Reichtümer hat er keine gesammelt, mit Titeln und Orden wurde er nicht überschüttet, und noch vor wenigen Jahren besaß er nicht einen Fußbreit eigenen Bodens. Langsam reifte sein Ruhm, die ersten großen Werke, auf denen die Unvergänglichkeit seines Namens ruht, sind in den 60er Jahren geschaffen, und erst jetzt, an der Wende des Jahrhunderts, kann man sagen, daß Böcklins Bedeutung allgemein erkannt ist, und daß auch im Ausland, wenn von deutscher Kunst die Rede ist, sein Name als einer der ersten genannt wird. Dafür dürfen sich seine Verehrer mit Befriedigung sagen, daß von dem Kranze, der das Haupt des Siebzigjährigen umgiebt, die Nachwelt kein Blättchen wird auszureißen haben.

Doch davon sei nur im Vorübergehen gesprochen, ihn selber berühren ja äußere Ehren nicht, er kümmert sich nicht um seinen Ruhm, nur um sein Werk.

Böcklin ist von Geburt ein Schweizer. In Basel, wo Holbein lebte und schuf, hat er das Licht erblickt. Und da gerade in diesem Jahr, in dem Böcklin sein siebzigstes erreicht, der Geburtstag Holbeins zum vierhundertstenmal wiederkehrt, hat die Stadt Basel beschlossen, ihre beiden großen Maler gemeinsam durch eine Holbein- und Böcklin-Ausstellung zu ehren.

Diese Zusammenstellung eines Längstverstorbenen mit einem noch Lebenden ist nicht so seltsam, wie es manchem vielleicht dünken mag, denn in der Kunst, über welcher die Sonne der Ewigkeit scheint, giebt es keine Zeitabstände, die großen Künstler stehen alle nebeneinander. Auch an verwandten Zügen zwischen den beiden Basler Malern fehlt es nicht. Sie haben den derben, oft barocken Humor gemein, der aber bei Böcklin durch die Sonne des Südens geläutert ist; sie teilen miteinander die Lust der Farbe und die Fülle der Phantasie, mit der der eine den Totentanz, der andere den Reigen des Lebens in unerschöpflichen Variationen darstellt.

Böcklins Vater war Besitzer einer Seidenfabrik, und nach seinem Wunsch sollte der Sohn in das Geschäft eintreten. Aber der Beruf, zu dem die Natur ihn bestimmt hatte, äußerte sich schon in dem Sechzehnjährigen mit unwiderstehlicher Gewalt.

Mit drei im Hause vorgefundenen Farben malte er ganz aus eigener Hand ein Landschaftsbild, zu dem eine Fußwanderung ihm den Stoß geliefert hatte und in dem schon ganz der Böcklinsche Geist, die Intensität der inneren Anschauung, die Freude an Farbenkontrasten und das tiefe seelische Erfassen liegt.

Nun setzte er es durch, Maler zu werden. In Genf bei Calame begann er seine Studien als Landschafter, die er später unter Schirmer in Düsseldorf fortsetzte. In Antwerpen und Brüssel übte er sich fleißig im Aktzeichnen und wanderte von dort nach Paris, wo er mitten in die Schrecken der Junirevolution hineingeriet und sogar selbst einmal wider Willen von einem Rebellenhaufen nach den königlichen Gemächern mit fortgerissen wurde. Und nach Niederwerfung des Aufstandes hatte er von seinem Mansardenfenster die schauerliche Aussicht auf einen Hof, in dem die Gefangenen einer um den anderen an einer Mauer aufgestellt und erschossen wurden. Die Erinnerung an diese Greuelscenen soll ihm sein Leben lang nachgegangen sein, in seiner Kunst aber hat sie keine Spuren hinterlassen, das Schreckliche, das Grausame war niemals Gegenstand seiner Darstellung.

Im Jahre 1850 fand er endlich die wahre Heimat seines Genius – den Süden, Italien. In der römischen Campagna, an der Küste des Mittelmeeres erkannte er sich selber, dort gingen ihm die Wunder der südlichen Landschaft und die seines eigenen Innern auf. Denn das Starre, Ungeheure, Chaotische in der Natur seiner Heimat ist seinem Schönheitssinne nicht gemäß, Gletscher und Schneeberge stoßen ihn ab. Dagegen ist der künstlerische Instinkt, der in der Natur des Südens, in ihren unendlichen Farbenabstufungen, ihren formvollen, wie von ordnender Künstlerhand gezogenen Linien waltet, seiner eigenen Natur verwandt.

Besonders das Meer, das mittelländische, mit seinem wechselnden Farbenspiel und der entzückenden Schönheit seiner Ufer hat es ihm angethan. Er malt es in jedem Zustand: spiegelglatt und lächelnd, im leisen Wellenschlag, in wild empörter Brandung und in der Unheimlichkeit unendlicher mittägiger Stille.

So schöne Figurenbilder er gemalt hat – man denke an das reizende Idyll Daphnis und Amaryllis (Klage des Hirten) in der Schackgalerie – die Landschaft ist ihm doch das erste und höchste. Im Suchen nach dem tiefsten Verständnis landschaftlicher Erscheinung sind ihm erst die Fabelwesen entstanden, an die der Laie zunächst denkt, wenn von Böcklinscher Kunst die Rede ist. Durch menschliche Gestalten würde eine solche Landschaft herabgedrückt, in zweiten Rang gestellt werden. Böcklin im Gegenteil will sie erheben, ihr eine Sprache geben, und so malt er seine Tritonen hinein, denen grünes Moos auf Brust und Rücken wächst, seine im Wasser quatschenden Meerweiber, die eins sind mit dem Schaum der Brandung, seine flötenden Bocksfüßler, die man im Bilde erst suchen muß, weil sie als ein Stück gesteigerter Natur sich nicht allzu stark von Baum und Schilf abheben. Es sind ins Elementare zurückgebildete Menschenleiber, Personifikationen des Naturlebens; nicht in kalter Allegorie, sondern als lebendiges Märchen, wie sie es den Griechen waren. Zu Verkörperungen der Meeresbrandung, der Entstehung des Wassers, des geheimnisvollen Waldschweigens hat sein Dichtergeist die Mittel in der Farbe gefunden.

Unverkennbar hat der italienische Sommer mächtig auf Böcklins Phantasie eingewirkt, aus dem Traumhaften, Elementaren, das die Seele inmitten eines glühenden übermächtigen Naturwebens ergreift, erklärt sich das Eigenste seiner Kunst. Denn der italienische Sommer erzeugt diese Traumgestalten noch heute wie vor zweitausend Jahren, als der „honigleckende“ Theokrit ihnen Leben gab, und jeder kann jetzt an einem heißen Sommernachmittag so zwischen Traum und Wachen am Strande des tiefblauen Mittelmeeres Böcklins Centauren gallopieren und das lustige Wasservolk sich balgen sehen. Es gehörten nur Böcklins Augen dazu, diese ganze sinnenstarke Welt wieder zu entdecken, nachdem sie zur Schablone erstarrt und mißbraucht war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_698.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)