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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Schilcher, als an ihr Kind! Ich will es erreichen, Alter, oder ich will draufgehn. Ich will der Welt einmal zeigen, was ein Vater zu thun hat und ich will nicht eher wieder für mich selber leben, als bis ich dir sagen kann Schilcher, es steht gut!“

„Habe nichts dagegen“, murmelte Schilcher und drückte ihm die Hand.

„Wir gehn nach Italien,“ fuhr Rutenberg in seinem Eifer fort „möglichst weit, weit, an den Golf von Neapel, gleich vom allerbesten! Und müßt’ ich den ganzen Winter im Ausland bleiben –“

Mit einer jähen Bewegung hielt er inne, er sah Gertrud, sie stand in der Salonthür. Die Musik hatte schon eine Weile aufgehört, er hatte es nicht bemerkt. Das Mädel machte ein ernstes Gesicht; sie schien zu denken, indem sie die beiden Männer so eigen ansah, er hat ihm alles erzählt!

„Ich muß mich nämlich über Onkel Schilcher wundern,“ sagte Gertrud, sich gegen die Thür lehnend „darum komm’ ich her. Du hast uns noch gar nicht angesehn. Die jungen Damen sind alle empört. Das soll ich dir sagen. Hab’s nun ausgerichtet.“

Schilcher verneigte sich. „Jetzt kann er nicht kommen,“ rief Wild aus, dem die Ungeduld und die Empörung in den Augen brannte. „Er hat zu bedienen. Schilcher, werden Sie nun gefälligst endlich die große Güte haben, zu bedienen, oder nicht?“

Schilcher verneigte sich auch gegen ihn. „Und dann soll ich noch sagen,“ fing Gertrud wieder an „auch Herr Rutenberg wird sehr vermißt, sowohl von den jungen wie von den alten Damen.“

„Ja, ja,“ stieß Rutenberg heraus. „Mein Benehmen als Hausherr … Eure nichtswürdige Spielpartie!“ Damit war er an dem Kind vorbei aus der Thür.

„Jetzt beschuldigt er uns,“ sagte Wild, dem die Augen noch mehr als sonst aus dem Kopf hervortraten, „das ist ein starkes Stück!“

Es sollte aber noch schlimmer kommen: der Störenfried Rutenberg war kaum hinaus, so trat seine Tochter heran, fing den Onkel Schilcher auf, der zu seinem Platz ging, und zog ihn mit sanfter Gewalt in den Salon hinein. Die Whistspieler sahen ihr sprachlos nach. „Vater, bitte, auf einen Augenblick!“ sagte das Mädel, während sie so resolut mit dem Alten abging.

„Womit kann ich dienen?“ fragte Schilcher, in sein Schicksal ergeben.

„Ich will dir nur sagen,“ flüsterte Gertrud, „da du jetzt offenbar alles weißt –“

Er nickte.

„Mach dir keine Illusionen, du; und Vater auch nicht. Und sag’ Vater, bitte, tief, tief hat er mich verwundet und er soll nicht glauben, daß ich, weil ich jung bin – – nie lass’ ich von Arthur, nie!“

„Werd’s ihm ausrichten,“ sagte Schilcher sanft.

„Nie!“ wiederholte sie noch einmal, ließ ihn los und lief fort, in den großen Saal zurück.

Schilcher ging stumm zu seinem Platz. „Kann jetzt gerobbert werden?“ fragte Lugau, der mit seinen kurzen Fingern den Radetzkymarsch auf dem Tische spielte.

„Jawohl,“ erwiderte Schilcher. Er setzte sich, sie spielten eine Weile weiter. „Diesen Buben stech’ ich!“ rief Schilcher plötzlich mit einer Art von grimmiger Wollust und warf seinen König auf den Strohmanns-Buben.

Das war übrigens noch nicht lange geschehen, so hörte er wieder Schritte hinter seinem Stuhl, an einem gewissen starken, erregten Atmen merkte er, es war Rutenberg. Der schon wieder da! – Gott helf‘! dachte Schilcher. „Na?“ sagte es jetzt hinter ihm. „Ihr spielt noch immer?“

„Noch immer!“ rief Wild und blickte zum langmütigen Himmel auf. „Gerechter Gott!“

Er spielte aus, es nützte aber nichts. „Nur noch ein Wort, Schilcher“ sagte Rutenberg, „bitte um Pardon, ihr Herren!“ – Der kleine Schilcher saß schon nicht mehr, der ruhelose Hausherr hatte ihn emporgezogen. „Was ich noch sagen wollte,“ sprach Rutenberg ihm ins Ohr, indem er ihn hinausführte, „es ist mir eben eingefallen, und es sitzt mir hier auf der Brust. Mann, du mußt mit!“

„Nach Italien?“

„Ja! – Ja, mein Alter, nicht ohne dich!“

Schilcher warf einen Blick über die Schulter, nach dem Spieltisch zurück, einen wehmütigen als wollte er sagen: das aufgeben? – Rutenberg bemerkte das wohl und streichelte ihn am Arm „'s geht nicht ohne dich! – Du bist ja frei, mein Alter, du hast nichts zu thun. Gott sei Dank, daß du deinen Abschied genommen hast, als die neue deutsche Gerichtsordnung kam, damals that mir’s leid; jetzt segn’ ich es, Schilcher! Und wozu hast du dein ganzes Leben lang Italienisch getrieben, auch das segn’ ich jetzt. Du bist ja unsre Grammatik, unser Dolmetsch, unser Lexikon. Was sind wir ohne dich? rein gar nichts. Du und ich miteinander, wir retten unsre Gertrud. Du mußt!“

„Wenn ich muß, dann muß ich,“ antwortete Schilcher kurz. Er regte sich weiter nicht. – Rutenberg drückte ihm die Hand, streichelte ihn wieder. – „Kann ich jetzt spielen?“ fragte Schilcher, nachdem er diese Liebkosung ruhig hingenommen hatte.

„Ja!“ sagte Rutenberg laut, mit einem strahlenden, dankbaren Lächeln, und schob ihn gegen das Bücherzimmer zu. Dann ging er mit großen Schritten zum Saal, wo sie wieder tanzten.

Der Oberappellationsrat außer Diensten kehrte schweigend an seinen Platz zurück, hob seine Frackschöße und setzte sich. Wild nickte ihm boshaft freundlich zu: „Ueber so eine gemütliche Spielpartie geht nichts! – Wollen Sie jetzt die Güte haben, verehrter Freund, zu bedienen?“

„Natürlich,“ sagte Schilcher. Er spielte aus, unwillkürlich auf italienisch: „Ecco!“

Lugau sah ihn nun doch etwas verwundert und neugierig an. „Was hatten Sie denn mit Vater und Tochter; wenn man fragen darf?“

Mit seinem ehrenwerten Ernst antwortete Schilcher: „Einige kleine Arrangements für den Cotillon.“

„Seit wann helfen Sie Cotillons arrangieren?“

„Nun, man bildet sich doch, wenn man älter wird,“ sagte Schilcher sanft. Er spielte wieder aus, er hatte noch ein paar gute, siegreiche Karten: „Da! Und da!“

„Wir haben zwei Trick,“ bemerkte er dann vergnügt zu Wild hinüber.

„Drei!“ rief Wild.

Lugau hob drei Finger.

„Bitte um Entschuldigung,“ erwiderte Schilcher. „Habe nichts dagegen.“

„Wild, Sie geben,“ sagte Lugau. „Ich gebe.“

Wild nahm die Karten.

(Fortsetzung folgt.) 0


Blätter und Blüten.

Die Rückeroberung Ofens. (Zu dem Bilde S. 704 und 705.) Schlimme Wirren herrschten in Ungarn um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Schon im Jahre 1526 wurde das ungarische Heer bei Mohacs vom Sultan Soliman vernichtet, und die Lage gestaltete sich noch schwieriger, als die Nation bei der Königswahl uneinig wurde. Zwei Parteien befehdeten einander, die eine hatte den österreichischen Erzherzog Ferdinand, die andere Johan Szapolyai zum Könige gewählt. Die Türken unterstützten den letzteren, aber nach seinem Tode besetzten sie im Jahre 1541 die Festung Ofen und beließen seinem Sohne nur den Rang eines Fürsten in Siebenbürgen. So zerfiel das ungarische Reich in drei Teile. Das Herz des Landes stand unter türkischer Herrschaft, im Osten regierte der Fürst von Siebenbürgen als Vasall der Türkei und im Norden und Westen herrschten die ungarischen Könige aus dem Hause Habsburg.

Erst gegen das Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Macht der Türken gebrochen und Ungarn wieder unter einem Scepter vereinigt. Nachdem die Türken im Jahre 1683 vor Wien eine vollständige Niederlage erlitten hatten, beschloß Kaiser Leopold I, den Feldzug gegen den Sultan mit Nachdruck fortzusetzen. Dieser Entschluß wurde auch außerhalb Oesterreichs mit Begeisterung aufgenommen und der Kaiser vom Reiche unterstützt. Bayern sandte 8000 Mann, die Kurfürst Maximilian Emanuel, des Kaisers Eidam, führte; ebenso stark waren die Brandenburger unter General Schönings Kommando. Markgraf Ludwig von Baden stand an der Spitze von 6000 Schwaben, Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels brachte 5000 Sachsen mit, während Tüngen 3000 Franken führte. Insgesamt war das kaiserliche Heer 80000 Mann stark, darunter befanden sich gegen 20000 Ungarn und Kroaten. Aus beinahe ganz Europa kamen Freiwillige herbei, Spanier, Engländer, Italiener und Franzosen, es herrschte eine Begeisterung, als ob es sich wieder um einen Kreuzzug gegen den Halbmond handelte. An der Spitze

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