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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

des Heeres stand der berühmte Feldherr Herzog Karl von Lothringen und unter den Heerführern befand sich auch der junge, später so berühmt gewordene Prinz Eugen von Savoyen.

Der kaiserliche Kriegsrat beschloß zunächst, den Hauptschlag gegen die auf einem steilen Berge gelegene Festung Ofen zu richten. Am 21. Juni 1686 begann die Belagerung. Am 24. Juni drangen die Kaiserlichen durch die Bresche der Ringmauer und das mit einer Petarde gesprengte Thor in die untere Stadt ein und verschanzten sich daselbst. Der Angriff des Kurfürsten von Bayern ging von Hohberg zwischen Blocks- und Spiesberg durch die Raizenstadt gegen das Schloß. Prinz Eugen kommandierte, wie sein Biograph Arneth erzählt, die im Lager zurückgebliebene Reiterei. Er war es, der am 29. Juni mit zwei Schwadronen einen Ausfall der Türken so nachdrücklich zurückschlug, daß seine Reiter sich mitten unter den fliehenden Janitscharen und Spahis befanden und er mit ihnen bis an die Thore der Festung vordrang. Es war dies nur das Vorspiel zu dem großen Entscheidungskampf zwischen der tapferen Belagererarmee und der zähen tapferen Besatzung. Am 14. August versuchte der Großvesier den Entsatz der Festung. Er wurde mit ungeheuerem Verlust zurückgeschlagen und Prinz Eugen vom Kurfürsten von Bayern mit der freudigen Nachricht des errungenen Sieges nach Wien entsendet. Schon am Tag nach seiner Ankunft in Wien kehrte der Prinz wieder in das Lager vor Ofen zurück, um dem als unausbleiblich angesehenen Fall der Festung beizuwohnen. Am 2. September kam es zum sieghaften Hauptsturm. Der Festungskommandant fiel im verzweifelten Kampf und triumphierend zogen die Belagerer ein.

Unser Bild vergegenwärtigt den denkwürdigen Augenblick. Die verschiedenartigen Uniformen der deutschen, ungarischen und kroatischen Truppen, die niedergebeugten Gestalten der gefangenen Türken, denen ein Geistlicher das Kreuz entgegenhält, vereinigen sich zu einem äußerst wirkungsvollen Ganzen. In der Mitte reitet auf einem Schimmel Herzog Karl von Lothringen, hinter ihm erblicken wir neben dem ungarischen Banner den jungen Prinzen Eugen von Savoyen.

Durch die Rückeroberung Ofens wurde die Macht der Türken für lange Zeit gebrochen und in den darauf folgenden Kämpfen wurden sie gezwungen, Ungarn zu räumen.

Das Genesungsheim für Soldaten zu Lettenbach in den Reichslanden.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph Eugen Jacobi in Metz.

Ein Genesungsheim für Soldaten. (Mit Abbildung.) Der glückliche Gedanke, weniger bemittelten Leuten, die schwere Krankheiten überstanden haben, die völlige Genesung durch gute Pflege und Aufenthalt in frischer Luft zu ermöglichen, gewinnt erfreulicherweise immer mehr an Ausbreitung. Viele unserer Großstädte haben bereits in ihrer näheren oder weiteren Umgebung Genesungshäuser errichtet, und seit einiger Zeit wurde auch ein Genesungsheim für Soldaten geschaffen. In der Nähe des Luftkurortes Alberschweiler in den Vogesen liegt das Besitztum Lettenbuch, das aus einem geräumigen schloßartigen Wohnhause, mehreren dicht dabei gelegenen Wirtschaftsgebäuden und großen parkähnlichen Gartenanlagen besteht, ringsum aber von großen Waldbeständen umgeben ist. Vor einigen Jahren wurde dieses Besitztum von der Landforstverwaltung behufs Abrundung der Staatsforste angekauft. Die Behörde befand sich aber in einiger Verlegenheit, wie sie das weitläufige Schloß zweckmäßig verwenden sollte. Da faßte der kommandierende General des 16. lothringischen Armeekorps, Graf von Häseler, den Entschluß, dort ein Genesungsheim für Rekonvalescenten jenes Armeekorps zu errichten. Er pachtete das Schloß von der Landesverwaltung und ließ es zu einer Erholungsstätte für solche Soldaten umgestalten, die schwere Krankheiten überstanden, aber die volle Gesundheit und Dienstfähigkeit noch nicht wiedererlangt haben. Das Hauptgebäude mit den Nebengebäuden bietet im Sommer für 80, im Winter für 60 Soldaten reichlich bemessenen Raum. Es enthält mehrere Säle für gemeinschaftlichen Aufenthalt für Spiel und Unterhaltung bei ungünstigem Wetter, sowie eine Badeanstalt, Bibliothek usw. Für ärztliche Behandlung ist ein Assistenzarzt und zur Aufsicht ein Offizier, zumeist auch ein Rekonvalescent, stationiert. Es sind bis jetzt schon über 500 Soldaten in diesem militärischen Luftkurorte mit gutem Erfolg verpflegt worden. – Das Beispiel, das General Graf von Häseler gegeben hat, ist sicher nachahmenswert. Hoffen wir, daß auch andere Armeekorps ihm folgen werden. Die Erfahrung lehrt ja, daß viele Soldaten, die nach überstandener schwerer Krankheit in die Heimat beurlaubt werden, dort nicht immer die zur Erholung und Kräftigung nötige Pflege finden können.

An ihren Sohn. (Zu dem Bilde S. 701.) Sie schreibt nicht oft, die alte Frau, die wir hier in stiller Einsamkeit die Feder führen sehen. Ihre Hand ist an rauhere Arbeit gewöhnt, und der Tisch, an dem sie sitzt, dient sonst gröberer Hantierung. Es muß schon ein wichtiger Anlaß sein, der sie zwingt das verstaubte Tintenfaß hervorzuholen und einen eigens dafür eingekauften Briefbogen mit ihren ungefügen Schriftzügen zu bedecken. Doch was giebt es Wichtigeres für eine Mutter, als die Sorge um den Sohn, den sie in ferner fremder Umgebung weiß, hingegeben an einen schweren strengen Beruf, ausgesetzt den Versuchungen und Verführungen einer übervölkerten Stadt? Wie lästig ihr auch das Schreiben fällt, an den Sohn schreibt sie gern! Für ihn war ihr nie eine Mühe zu groß, für ihn, den sie aufgezogen hat mit aller zärtlichen Liebe eines Mutterherzens, wie oft sie auch darben mußte, damit er gedeihe. Und während sie zurückdenkt an die Zeit da er noch unter ihrer Obhut aufwuchs, überkommt sie der tröstliche Gedanke an all die Freude, die sie an dem Jungen schon erlebt hat, und ihre Sorge weicht der Zuversicht, daß er auch in der Ferne weiter gedeihen werde – der Stolz, die Freude ihres einsamen Alters!

Die Muse des Anakreon. (Zu unserer Kunstbeilage.) Unter den Dichtern Griechenlands, welche in den Formen des Lieds ihr Empfinden und ihre Begeisterung zur Aussprache brachten, steht Anakreon an der Spitze derer, welche die Freuden des Lebens, die gesellige Lust, den Wein und die Liebe befangen. Die fröhliche Lebensweisheit, die sein Lied verkündet, hat zu allen Zeiten begeisterte Anhänger gefunden und sein Vorbild und Ruhm haben so mächtig gewirkt, daß sein Name bezeichnend wurde für das ganze Gebiet seines Dichtens und wir alle, die späteren Sänger, die seinem Beispiel folgten, „Anakreontiker“ nennen. So reden wir von „anakreontischer Poesie“ und „anakreontischer Lust“ wenn wir den Preis und Genuß der Gaben des Bacchus im Auge haben. Anakreons Dichtung selbst aber stand in innigem Zusammenhang mit dem hohen Kultus, den die daseinsfrohen Hellenen dem Bacchus selbst, dem Gott des Weins und des heiteren Lebensgenusses, von ihnen auch Dionysos genannt, widmeten. Sie verehrten in dem Gott nicht nur den Spender des Weins, der das Herz freudig stimmt und die Sorgen verscheucht, sondern auch den Genius der Begeisterung. Das Drama und der Dithyrambus, der festliche Chorgesang, verdankten seinem Kultus ihre Entstehung. Die Griechen feierten den Dionysos in Gelagen und Aufzügen welche durch Musik, Gesang und Tanz eine höhere Weihe erhielten. In den älteren Zeiten, in welche die Lebenszeit Anakreons fällt, der bis 522 v. Chr. zu Samos am Hof des Polykrates, später in Athen lebte, hatten die Dithyramben und Lieder, welche diese Festlust austönten, einen hohen begeisterten Schwung. Erst später entarteten die Feste und erhielten den Charakter rasender Ausgelassenheit, wie er unseren Vorstellungen von Bacchanalien und Bacchantinnen entspricht. Die „Muse des Anakreon“, wie sie Böcklins Gemälde darstellt, ist beseelt von jener dithyrambischen Begeisterung, welche den Kult des Dionysos als einen weltentrückenden Gottesdienst beging. Sie ist im Freien gelagert, der kostbare Mantel der Bacchuspriesterin, die Bassara, umwallt ihre Glieder. In den Händen hält sie die beiden Flöten der Doppelpfeife, welche, einander ergänzend, gleich einem Instrument benutzt wurden und sowohl zur Begleitung festlicher Gesänge wie auch zur Einleitung poetischer Vorträge bei festlichen Anlässen dienten.


manicula      Hierzu Kunstbeilage XXII: „Die Muse des Anakreon.“ von A. Böcklin.

[Inhaltsverzeichnis dieses Heftes, hier nicht transkribiert.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_708.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)