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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

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Der Weißkopf.
Das Rathaus.

Norddeutschland anhaftet, ist hier keine Spur, vielmehr hat der Formsteinbrenner dem Steinmetz erfolgreich Konkurenz gemacht und in den Rundstäben, Halbsäulchen, Spitzbogen und blattwerkgeschmückten Fialen so Treffliches geleistet, daß unter seiner Hand der gebrannte Stein als ein völliger Ersatz des in der Erde gewachsenen erscheint. Das pekuniäre Vermögen ist freilich hinter dem Wollen zurückgeblieben. Man hatte sich Größeres vorgenommen, als man hernach auszuführen imstande war. Die beiden Prachttürme sind wie bei so vielen anderen Monumentalkirchen unvollendet geblieben und spätere Jahrhunderte haben ihnen einen nur notdürftigen Abschluß verliehen. Trotz dieses Mangels, dessen Beseitigung heute schon ins Auge gefaßt ist, bleibt die Marienkirche dennoch eine architektonische Sehenswürdigkeit ersten Ranges.

In mannigfachem Betracht der Marienkirche verwandt erscheint die an der äußeren Grenze der Altstadt auf einer kleinen Anhöhe gelegene, neuerdings äußerlich und innerlich trefflich restaurierte Johanniskirche (s. S. 765). Kann St. Johann mit St. Marien als Baudenkmal den Wettbewerb nicht aufnehmen, so bietet diese kleinere Kirche dafür mehr Interessantes in ihrem Inneren als die ihrer ehemaligen Einrichtung beraubte Marienkirche. Die St. Johanniskirche enthält Schnitzereien, welche zu den besten des Landes gehören, und die Statuen der Maria und des Johannes, wohl die Ueberbleibsel eines ehemalige Kalvarienberges, sind den besten Leistungen der Holzplastik, welche, wie bekannt, vorzüglich in Norddeutschland ihre Heimstätte hatte, beizuzählen. Vornehmlich die Madonna darf als ein Prachtstück gotischer Bildhauerkunst angesehen und kühnlich dem berühmten Altarschnitzwerk in der Thomaskirche zu Tribsees zur Seite gestellt werden.

Das wundersam schöne Antlitz der Gottesmutter im Herzen, verlassen wir den Raum. Draußen auf dem Kirchplatze leuchtet hell die Sonne, grünen die Linden und singen die Vögel wie ehedem, als die alten Meister die Kirche und ihre Bilder schufen. Die Natur ist sich gleich geblieben, nur die Menschen haben sich geändert in ihrem Denken und Fühlen. Kühl weht uns die Luft um die Stirn, da wir auf dem Wege zum Bahnhof die gewölbte Halle des Johannischores passieren, das ist der Odem der neuen Zeit, die kein Sinnen und Träumen kennt, die unerbittlich nur nüchternes Denken und nimmermüde Arbeit erfordert. Aber schön und lohnend ist es doch, so ungewohnt es auch den modernen Menschen erst ankommen mag, sinnend zu verweilen bei den Denkmalen längst vergangener Geschlechter, und Stargard hat Kunstmäler, die einer Stunde ernster Betrachtung wert sind.


Das Kind.
Roman von Adolf Wilbrandt.

(6. Fortsetzung.)

16.

Es dauerte nicht lange, so erschienen sie denn auch, Arthur und Don Pasquale, der Italiener mit seinem harmlosen, unergründlichen Spitzbubengesicht, Arthur zögernd, bleich, fast genierlich, ohne die elegante Sicherheit, mit der er sonst in Salons einzutreten pflegte. Er erstaunte sehr, als er Fritz Waldeck sah, streifte dann Gertrud nur mit einem vorüberhuschenden Blick und suchte, zu Vater Rutenberg gewendet, heiter mit den Achseln zu zucken „Ich bitte um Entschuldigung,“ sagte er. „ich bin wieder da. Man kann jetzt nicht gut fahren, die Brandung ist zu stark –“

Pasquale kam ihm zu Hilfe: „Ja, die Brandung ist stark. Der Meer weiter draußen wär’ wohl still genug, aber an die Felsen hin –“

„Da schaukelt es heftig,“ ergänzte Arthur. Er fuhr sich mit seinem feinen Taschentuch über die kleine Stirn. „Und viel Bewegung im Wasser kann ich nicht vertragen.“

„Sie könnten ja weiter hinaus fahren,“ bemerkte Rutenberg, der inwendig lachte.

„Ja, das sagen Sie wohl! Mir wurde so seekrank zu Mut!“

„Seekrank!“ wiederholte jemand hinter ihm. Er wandte zögernd den Kopf, das Wort war unwillkürlich, halblaut aus Gertrud herausgefahren. Da er sie nun etwas unsicher anstarrte, wandte sie sich langsam ab.

„Und – und so kehrt’ ich um,“ setzte er mit einem möglichst freien, frischen Lächeln hinzu. „Und so bin ich nun da.“

„Na, so bleiben Sie da!“ sagte Schilcher, der sich die Hände rieb. „Erholen Sie sich hier von der bösen Seefahrt, legen Sie sich zu Bett, werden Sie wieder gesund. Sie und Herr Waldeck sind ja alte Freunde, nicht wahr –“

Arthur nickte lebhaft. Er nickte dann auch dem alten Freund gemütlich zu.

„Herr Waldeck hat zwei Betten in seinem Zimmer. Vielleicht tritt er Ihnen für diese Nacht eins ab.“

„O gewiß!“ entgegnete Fritz. „Natürlich!“

„Also gehn Sie schlafen. Pasquale, helfen Sie, bringen Sie ihn zu Bett!“

„O nein, nein!“ fuhr Arthur nun auf. „Ich danke, ich danke. Was glauben Sie … Mir ist wieder gut!“ – Seine Augen suchten jetzt Gertrud; sie war aber hinter seinem Rücken auf den großen Balkon gegangen und sah am Geländer in die Nacht hinaus. Es schien, sie war verstimmt … Er zuckte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_766.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)