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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Auf Lederstrumpfs Spuren.

In Wort und Bild geschildert von Rudolf Cronau.
I.0 Das Urbild Lederstrumpfs.

James Fenimore Cooper.

Lederstrumpf! – Ich bin überzeugt, daß der bloße Klang dieses Namens bei Millionen von Deutschen den süßen Traum der Jugend, die Erinnerung an eine Zeit wachrufen wird, wo es zu ihren liebsten Beschäftigungen gehörte, mit Coopers Lederstrumpfgeschichten stundenlang in einem Winkel zu sitzen und von den Thaten „Wildtöters“ und des Häuptlings Chingachgook zu lesen. Wer hätte in jenen Jahren nicht selbst einmal „die große Schlange“ oder Uncas „den flinken Hirsch“ gespielt und dabei vergessen, die Schularbeiten zu erledigen, für welche Versäumnis anderen Tags dem „flinken Hirsch“ Arrest oder wohl gar eine gesalzene Tracht Prügel zudiktiert wurde.

Da wir Menschen uns gern an das erinnern lassen, was in den Tagen der Jugend unsere Herzen bewegte, so darf ich wohl auch hoffen, daß manche Leser der „Gartenlaube“ mir gern in jene Gegenden folgen werden, die einst der Schauplatz der Thaten Lederstrumpfs waren.

„Wie,“ so höre ich fragen, „ist denn Lederstrumpf nicht eine der Phantasie Coopers entsprungene Romanfigur, die in Wirklichkeit nie existierte?“ Ich kann diese Frage ebensowohl bejahen wie verneinen, denn Lederstrumpf ist eine erdichtete Figur, aber die sie kennzeichnenden Züge sind einer historischen Persönlichkeit entnommen. Es läßt sich nachweisen, daß James Fenimore Cooper, als er im Jahre 1822 „die Pioniere oder die Ansiedler an den Quellen des Susquehannah,“ den zuerst erschienenen Teil seiner Lederstrumpfsgeschichten, schrieb, für seinen Nathanael Bumppo eine bestimmte Persönlichkeit als Vorbild benutzte, den als Jäger und Indianerkämpfer, noch mehr aber als ersten Pionier des Staates Kentucky berühmt gewordenen Daniel Boone. Dieser um das Jahr 1735 in Pennsylvanien geborene Mann war einer der ersten jener kühnen, wetterfesten, im Kampf mit Indianern und den Bestien der Urwälder gestählten Vorläufer der Kultur, welche die Gipfel der Alleghanys erstiegen und die Blicke über jene Wildnis hinwegschweifen ließen, durch deren Wälder und Prairien die Flüsse in einem westwärts gerichteten Laufe dem sagenhaften Mississippi zueilten.

Daniel Boone.
Nach dem Originalgemälde von Chappel.

Büffelherden, die nach Tausenden zählten, weideten damals ungestört auf den berühmten Grasebenen des heutigen Kentucky, die Wälder bargen zahllose Hirsche, Bären, Biber und andere kostbare Pelztiere, und zu gewissen Jahreszeiten verfinsterten sich die Lüfte durch die endlosen Scharen der Wändertauben. Mächtig angezogen durch den Anblick dieser Terra incognita, stieg Boone von den wolkenumzogenen Höhen hernieder, um in den Wäldern am Quellgebiet des Kentucky eine versteckte Blockhütte aufzuschlagen und der Jagd obzuliegen. Boone war von fünf ebenso kühnen Männern begleitet, die aber alle von den Indianern umgebracht wurden oder in Gefangenschaft derselben gerieten. Mehrere Monate verbrachte Boone allein in der unendlichen Wildnis, ward im Jahre 1760 aber ganz unerwartet von seinem Bruder aufgefunden, mit dem er nach seinem früheren Wohnsitz zurückkehrte. Das geschah aber nur, um die Familien der beiden zur Uebersiedlung in die menschenleere Wildnis zu bewegen. Fünf andere Familien sowie vierzig wohlbewaffnete Männer schlossen sich dem Zuge an, der aber, noch ehe er das Ziel erreichte, in harten Kämpfen mit den Indianern sechs Mann, sowie alles Vieh einbüßte. Entmutigt durch diesen schweren Verlust, gab die kleine Karawane die Reise nach Kentucky auf und ließ sich in Südwest-Virginien nieder; Boone hingegen drang später an der Spitze einer neuen Schar abermals bis in die im Herzen von Kentucky gelegene Wildnis vor und gründete im Juni 1775 am Ufer des Kentuckyflusses die aus rohen Blockhütten bestehende, wohlbefestigte Niederlassung Boonesborough. Die Geschichte derselben war während des ersten Jahrzehntes eine fast ununterbrochene Kette der erbittertsten Kämpfe mit den Indianern, die zu verschiedenen Malen in gewaltigen Haufen die Ansiedlung wochenlang belagerten und ihr die schwersten Verluste zufügten.

Besonders gefahrvoll war die Belagerung, welche Boonesborough im Sommer 1778 zu bestehen hatte, wo während des amerikanischen Befreiungskrieges die Engländer alle unter ihrem Einfluß stehenden Indianerhorden aufboten, um mit Hilfe derselben die freiheitsdurstigen Unterthanen der englischen Kolonien entweder zum Gehorsam zurückzuführen oder gänzlich zu vernichten. Eine derartige, von acht englischen Offizieren befehligte Indianerbande erschien auch vor Boonesborough, um es mit Feuer und Schwert vom Erdboden zu vertilgen. Mehr als 500 Köpfe stark, begannen die Angreifer einen förmlichen, mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_797.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)