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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Werkstatt überschreitet. Keine Kunde ist uns über den Zeitpunkt dieses Ereignisses erhalten, wie so über Raffaels frühe Jugend überhaupt wenig bekannt ist. Wir wissen von seinem Vater, Giovanni Santi nur, daß er ein begabter und in seiner Heimat Urbino hochangesehener Maler war und schon vor Raffaels zwölftem Lebensjahre starb. Wir wissen nichts über die Mutter Magia, die am Karfreitag den 28. März 1483 das größte malerische Genie aller Zeiten gebar und dann in dem stillen umbrischen Bergstädtchen eintönige Tage hinspann bis zu ihrem frühen Tode 1491. Die Herrscherfamilie von Urbino, deren Haupt der glänzende, pracht- und kunstliebende Herzog Federigo war, hatte wohl der kleinen Residenz durch einen schönen Schloßbau mit kunstreichen Freskogemälden Ruf und Ansehen verschafft, an denen auch Giovanni Santi, der nach mannigfachen anderen Erwerbszweigen sich erst spät der Kunst zuwandte, beschäftigt war. So wiesen Raffaels erste Jugendeindrücke die schöne Kultur der Renaissance, die Verehrung gegen das edle Herrscherhaus, schon nach der Richtung, die seine ganze spätere Laufbahn bezeichnete, aber es ist kaum deutbar, daß er eigentlichen künstlerischen Unterricht schon vom Vater sollte erhalten haben. Basari erzählt, daß ihn dieser selbst schon im zarten Alter gegen Wunsch und Willen der Mutter zu Perugino gebracht habe, nach neueren Forschungen entspricht aber diese Ueberlieferung nicht den Thatsachen, wie so manche andere, von Basari im guten Glauben übernommene. Als der Vater tot war, wandte sich der junge Raffael auf Rat von Vormund und Freunden zu dem berühmten Pietro Vannucci, genannt Perugino, nach Bergamo, doch kann dies, wie aus äußeren Umständen bewiesen ist, nicht vor seinem 17. Jahre gewesen sein. Wer ihn in der Zwischenzeit unterrichtet hat, ist unbekannt, jedenfalls hatte sich das Talent des Wunderknaben schon so machtvoll entfaltet, daß die Lehrzeit des Jünglings bei Perugino 1491 bis 1504 für den alternden Künstler selbst einen ganz neuen Aufschwung zur Kraft und Frische bedeutet, während anderseits der Schüler von dessen Malweise einen großen, für seine Jugendwerke durchaus bestimmenden Einfluß erfuhr. Sicherlich verdient deshalb die erste Begegnung der beiden im Kunstwerk dargestellt zu werden, selbst wenn der Künstler, wie hier geschehen, der anmutigen Ueberlieferung des Basari den Vorzug vor der nüchternen historischen Wirklichkeit giebt!

Aller Anfang ist schwer.
Nach einer Originalzeichnung von H. Kaulbach.

Die Radfahrer und der Wind. Es ist den Radfahrern längst bekannt, daß der schlimmste Feind ihres Sportes sowohl beim Schnell- als Tourenfahren nicht Berg und Thal, Straßenbeschaffenheit oder Unwegsamkeit ist, sondern der Wind. So sehr der von hinten kommende Luftzug das Fahren erleichtert und ein starker Rückenwind den Fahrer sogar fast jeder Mitarbeit enthebt, so schwer ist es, den Gegenwind zu besiegen, der sich dem Radler wie eine Mauer entgegenstellt und seine Kräfte bald erschöpft. Dieser Umstand ist es, der den Tandemrädern, auf denen zwei bis fünf Fahrer hintereinander sitzen eine so beispiellose Ueberlegenheit beim Gegen-den-Wind-Fahren verleiht, denn auf die doppelte bis fünffache Muskelkraft kommt hier nur derselbe Luftwiderstand wie beim Einzelfahrer, da der erste Mann die übrigen gegen den Wind deckt. Im Winter kommt die abkühlende Wirkung des Windes noch dazu, ihn den Radlern verhaßt zu machen. Während man selbst bei 15° Kälte noch eine hübsche Tour machen kann, solange man den Wind im Rücken hat, ist's bei Vorderwind schon, wenn nur 5° Kälte herrschen, mit dem Radeln so gut wie vorbei. Wenige Minuten reichen hin, um den Fahrer bis aufs Mark erstarren zu lassen, und schwer wird er, selbst wenn schleunig umgekehrt wird, nachträglich wieder warm. Den stärksten Beweis für die hemmende Kraft des Vorderwindes hat aber eine originelle Rennvorrichtung, das „Cyclodrom“, ergeben die neuerdings im Dorado des Radfahrens, in Paris, zum besten der Radwettfahrten eingerichtet wurde. Diese Zimmer-Rennbahn erlaubt die Aufstellung von vier Rädern im geschlossenen Raume, die von Wettfahrern getreten und genau ebenso wie beim Rennen gehandhabt werden, mit dem einzigen Unterschied, daß sie, anstatt auf festem Boden, auf beweglichen Rollen laufen. Die Rotation der letzteren ersetzt das Fortgleiten über den Boden der Rennbahn, und ein eigentümlicher Mechanismus setzt nun diese Rollen mit vier reinen Bleifiguren in Verbindung, die auf einem ovalen Tische, der eine Miniatur-Rennbahn vorstellt, sich fortbewegen. Jede dieser Figuren giebt die Geschwindigkeit eines der Wettfahrer an, und die Zuschauer, welche an der Folge der Runden die Schnelligkeit jedes Fahrers in Kilometern genau ablesen können, folgen diesem Schauspiel mit derselben Gespanntheit wie dem der gewöhnlichen Rennen. Bei diesen Zimmerfahrten ist nun der Luftwiderstand ganz vermieden, da der Radler immer auf demselben Flecke bleibt, und dementsprechend werden Geschwindigkeiten erzielt, die im Freien ganz unerreichbar sind. Gute Rennfahrer, die im Freien 40 bis 45 km fahren, erreichen im Cyclodrom 70 km in der Stunde und mehr, während gewöhnliche Fahrer es bis 50 km bringen, ohne sich zu erschöpfen. Dem neuen Sport wird vom Baltikum eine große Teilnahme zugewandt. Bw.     

Otto der Große vergiebt seinem Bruder Heinrich. (Zu dem Bilde S. 817.) Die liebeweckende Macht des Weihnachtsfestes, welche jedes Jahr in der Stille der Häuslichkeit tausend Wunder wirkt, hat auch wiederholt auf der offenen Bühne der Weltgeschichte herrliche Thaten vollbracht. Unser Bild stellt eine der berühmtesten dar, es zeigt uns den jugendlichen Kaiser Otto, der später den Beinamen des Großen von der Geschichte erhielt, wie er in der Christnacht des Jahres 941 im Dom zu Frankfurt seinem gegen ihn aufständische Bruder Heinrich vergiebt. Zweimal hatte dieser, aufgestachelt von seiner Mutter, der Königinwitwe Mathilde, die ihn bevorzugte, gegen den älteren Bruder als Empörer die Waffen erhoben. Beidemal hatte Otto ihn besiegt und in seine Hand bekommen. Das erste Mal war es dem zur Großmut Geneigten leicht gefallen, dem Bußfertigen zu vergeben. Nachdem Heinrich aber den Schwur aufs neue gebrochen, ja, diesmal sogar nach des Bruders Leben getrachtet hatte, glaubte Otto es seinem Reiche schuldig zu sein, den halsstarrigen Aufwiegler einem Fürstengericht zu überliefern. Der Gefangene wurde nach Ingelheim zur Haft gebracht. Doch dem heißblütigen Jüngling, so erzählt M. Manitius[WS 1] in seiner, „Geschichte der sächsischen und salischen Kaiser“, war die Haft unerträglich, und es gelang ihm, mit Hilfe eines Mainzer Priesters zu entkommen. Aber sein Herz war umgewandelt. Es gelüstete ihn nicht mehr danach, dem Bruder entgegenzuarbeiten, sondern er benutzte seine Freiheit zu einem schöneren Zwecke. Im Dome zu Frankfurt war es, wo er sich zu Weihnachten 941 dem Bruder in härenem Büßergewande nahte und unter Thränen zu Füßen warf. Der Edelmann siegte in Otto. Zum Zeichen der Versöhnung hob er seinen Bruder vom Boden auf und gab ihm die Freiheit. Und fortan blieb das Verhältnis beider ein brüderliches, nichts mehr war imstande, ihre Eintracht zu stören. Der König gewann seither an Heinrich eine feste Stütze und einen wahren Freund.

Die poetische Legende hat die ergreifende Scene nach dem Lieblingssitz Kaiser Ottos, nach Quedlinburg, verlegt. Doch hat hier tatsächlich nur der von Heinrich und seinen Mitverschworenen geplante Ueberfall stattfinden sollen, gegen welchen der Kaiser zu seinem Schutz rechtzeitig Vorkehrungen traf. In einem bekannten Gedicht das dieser Lesart folgt, findet sich die ansprechende Ausschmückung, der amtierende Abt habe den noch schwankenden Sinn des Kaisers zur Milde gestimmt durch die Verlesung der Mahnung Christi, daß es nicht genug sei, siebenmal zu verzeihen nein, siebenzigmalsiebenmal müsse man seinem Bruder vergeben!

Leben in heißen Quellen. Die Untersuchung der heißen Quellen des Yellowstone-Parks in Nordamerika hat interessante Ergebnisse über die Anpassung niederer Lebewesen an hohe Wärmegrade geliefert. In diesen Quellen leben Algen, die alle im Wasser befindlichen Gegenstände mit Krusten überziehen und an Ufern Häute von grüner oder gelber Farbe bilden. Im Wasser von 40 bis 50°C giebt es verschiedenfarbige, rote, braune und grüne Algen; in Quellen mit einer Temperatur von 55 bis 60°C herrschen grüne Formen vor. Je heißer das Wasser wird, desto blasser wird die Flora, bei 80° Hitze giebt es nur noch gelbliche und bei noch höheren Graden weiße Formen. In den heißesten Quellen von 85 bis 92°C leben nur noch stäbchenförmige Bakterien, die sich zu gelatineartigen, mit feinen Schwefelkrystallen bedeckten Massen zusammenschließen. – Fürwahr, wie zähe ist die Lebenskraft dieser Gebilde, die beinahe in der Siedehitze zu keimen und zu wachsen vermögen!


[Inhaltsverzeichnis dieses Heftes, hier nicht transkribiert.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: H. Manitius
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_820.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)