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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Friede auf Erden.

Eine Weihnachtsgeschichte von Victor Blüthgen.
Mit Illustrationen von Fritz Bergen.

Es ist doch die reine Ironie, daß man in einer solchen Sache zwei Tage vor Weihnachten Termin ansetzt,“ sagte er, den Mund zu einem bitteren Lächeln verziehend.

Der Rechtsanwalt zuckte die Achseln. „Vielleicht wär’s gar nicht unpraktisch, immer die vorletzten Termine auf diese Zeit hinauszuschieben und grundsätzlich die Scheidungen kurz nach Weihnachten auszusprechen. Um Weihnachten ist am Ende jeder ein bißchen Stimmungsmensch, da hält das letzte Restchen von Versöhnlichkeit Feiertag.“

„Sie sehen ja, daß in meinem Fall Hopfen und Malz verloren ist. Schließlich – ich danke Gott, daß die Vorfragen endlich glatt erledigt sind und die aufregende Zeit ein Ende nehmen soll. Sie sind sicher, daß die Scheidung im Februartermin endlich vollzogen werden wird?“

„Ich habe mit Rosenthal privatim noch gesprochen – danach muß ich bestimmt annehmen, daß nichts im Wege steht.“

„Nun also – dann will ich Sie nicht weiter aufhalten …“

Er reichte dem Anwalt die Hand.

„Ich bin Ihnen herzlich dankbar, daß Sie sich soviel Mühe bezüglich des heiklen Punktes gemacht haben; es wäre mir doch schwer geworden, die Summe aus dem Geschäft zu ziehen …“

„Das ist wirklich nicht so sehr mein Verdienst, wie Sie denken,“ sagte der Anwalt, ihm die Hand schüttelnd. „Ich habe ihr ja, ziemlich dick aufgetragen, vorgerechnet, wie lange sich die Sache andernfalls hinziehen würde: die Hauptsache war, daß Rosenthal vernünftig genug war, uns nicht entgegenzuarbeiten und daß ich Ihre Frau Gemahlin gerade in so rabiater Stimmung traf. Hören Sie – eine interessante Person ist sie, ich kann mir nicht helfen! Aber einen festen Willen hätten Sie ihr wohl zeigen müssen, um … Pardon, wenn ich das sage …“

„O bitte, das habe ich gerade versucht – den Effekt sehen Sie. Als Geschäftsmann, mit dem Kopf voll Sorgen, kann man freilich nicht ganze Arbeit machen. Na – vielleicht kommt sie noch einmal in die richtigen Hände, ich will Gott danken, wenn ich erst den gesicherten Frieden im Hause habe. Leben Sie wohl, Herr Doktor! Ich will noch ein paar Besorgungen für meine Kinderchen machen.“ Er verließ, von dem Rechtsanwalt bis in das Bureau begleitet, das Sprechzimmer.

Er war Kaufmann; in einem der Villenvororte Berlins wohnte er, in der Hauptstadt hatte er ein Importgeschäft für Baumaterial. Ein stattlicher Mann, schlank, bärtig bis auf das ausrasierte Kinn, brünett wie ein Choleriker und mit einem Gesicht, welches auf Zähigkeit, um nicht zu sagen, Eigensinn schließen läßt, dem Alter nach ein ausgehender Dreißiger.

Als er auf die Taubenstraße hinaustrat, knöpfte er den Ueberrock fester zu, denn es gab da ein tolles Schneetreiben in dem weihnachtlich zeitigen Abenddunkel, daß die lichtspendenden Gasflammen, unfähig, ihres Amtes zu walten, sich in einen Nebel verkrochen. Er patschte, halb getrieben vom Winde, über das schlüpfrige Pflaster, erreichte endlich die Charlottenstraße – dort war’s nicht besser. „Natürlich“, murmelte er aus seiner verbitterten Stimmung heraus, „es mußte ja so kommen, ich habe ja den Schirm zu Hause gelassen …“ Die Lust, jetzt bis in die Leipziger Straße zu gehen und dort einzukaufen, verging ihm bis zur Mohrenstraße – er erinnerte sich plötzlich einer Weinstube, dort muß sie liegen, ein paar Häuser hin …. Und er arbeitet sich mühsam bis dahin durch und atmet erst auf, als er im Hausflur den Schnee abklopft.

Die Stube ist leer bis auf drei Stammgäste, die bei dem Wirt sitzen, und einen einzelnen Herrn in einer Ecke, bei dem ein Kellner soeben eine Flasche entkorkt. Es ist eins jener kleinen primitiv ausgestatteten und mäßig beleuchteten Lokale, die von Kennern aufgesucht werden, weil sie die Hauptsache dort finden: gut behandelte Weine zu mäßigen Preisen. Der Wirt erhebt sich zu einer flüchtigen Verbeugung, der Kellner schielt beiseite und schneidet ein Gesicht bis der Pfropf knallt. Jetzt giebt er den Blick auf den Empfänger der Flasche frei, und der eben eingetretene Gast stößt einen Laut der Ueberraschung aus.

„Felix,“ sagt er halblaut und geht auf ihn zu. „Was machst du Weihnachten in Europa?“

„Teufel, alter Sohn, das trifft sich ja großartig! Ich habe wahrhaftig in den paar Tage meines Hierseins schon soviel Zufälle wie diesen erlebt, daß ich beinahe glaube, in Berlin ist der Zufall jetzt Regel geworden.“

Sie betrachten einander und drücken sich die Hände, zwei Jugendfreude, die für gewöhnlich der Atlantische Ocean trennt.

„Ich mußte Knall und Fall herüber, um eine ganz faule Sache genauer zu untersuchen, ehe es für uns zu spät ist. Ich erzähle dir gelegentlich mal davon. Natürlich ist das meiner alten Mutter sehr angenehm. Ich wäre schon bei dir gewesen, aber – bei dir sieht’s ja traurig aus … hör’ mal, was sind das für Geschichten … meine Mutter, die davon gehört hat, schrieb mir drüber … Näheres wußte sie ja auch nicht … Kellner, noch ein Glas und eine zweite Flasche in Bereitschaft!“

„Ich komme eben von meinem Anwalt“, sagte der andere melancholisch. „Es wird ja bald ausgestanden sein“.

„Komm, setz’ dich mal her!“ Der Freund warf einen Blick nach dem besetzten Tische hin und sprach dann gedämpft weiter: „Also wahrhaftig, du liegst mit deiner Frau in Scheidung?“ Der andere nickte.

„Herrgott, vor zwei Jahren noch kein Gedanke dran…

„Sag’ bloß, wie ist das gekommen? Dummheiten gemacht? Deine Frau etwa – hm? Ich denke immer, ihr lebt in schönster Harmonie … hast du denn die beiden Jungen noch?“

„Ja, Gott sei Dank … und doch wieder, wenn ich sie ansehe … keine Mutter … jetzt zu Weihnachten … “

„Wo steckt denn deine Frau?“

„Hier, in Berlin. Sie hat sich mit dem Geld, worüber sie von ihrem Vermögen verfügen konnte, eine Etage eingerichtet und vermietet so lange, bis wir geschieden sein werden; dann hat sie es ja nicht mehr nötig.“

„Hm, sie war ja sehr vermögend von Haus aus. Aber mir ist die ganze Sache vorläufig noch vollständig schleierhaft!“

Der Kellner bringt das Glas.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_828.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)