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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Der Stoandlnarr.

Eine tiroler Geschichte von Rudolf Greinz.

Es sah recht buntscheckig aus im Laden des Kramer Luis. Was nur irgend ländliche Bedürfnisse erfordern, war da in reicher Auswahl aufgespeichert. Tabakbeutel und Peitschenstiele, Zuckerhüte und Mehlsäcke, Hauskappen und Schuhnägel, Wichsschachteln und Kandiszucker gaben sich ein friedliches Stelldichein neben anderen eßbaren oder irgendwie zur Verschönerung des Lebens dienenden Waren. Mitten darunter thronte auf einer Art Schusterstuhl der Luis und schmauchte seine kurze Reggelpfeife. Wenige hatten ihn anders gekannt, als er gegenwärtig war: meeralt, voll Runzeln im Gesicht, die kleinen listigen Augen eingekniffen, den passenden Mund immer gespitzt wie ein Hecht auf dem Trocknen.

Man munkelte, daß der Kramer Luis bis über die Ohren im Geld sitze. Sein Aeußeres hatte, wie gesagt, nichts Verlockendes. Dazu kam noch ein großer Höcker. Im übrigen besaß der Luis eine unverwüstliche Gesundheit, war zäh wie Sohlenleder und immerwährend bei gutem Humor, wenn dieser auch recht viele bissige Bestandteile hatte. Was im Umkreis von zehn Meilen passierte, das wußte der Luis am allerbesten. Er saß ja den ganzen Tag wie eine Spinne im Netz und sammelte Neuigkeiten.

Der Kramer stopfte sich gerade frischen Tabak in die Pfeife, als ein Kunde eintrat. Es war ein starker Bursch, hoch in den Dreißigern. Haar und Bart hingen ihm ziemlich verwildert um das wetterbraune Gesicht.

„Bist auch wieder amal aber vom Berg, Romedi!“ begrüßte der Kramer den Ankömmling. „Wird dir wohl wieder Pappendeckel und Leim ausgangen sein, denn was anderes hast ja noch nie bei mir kauft!“

„Dös geht di gar nix an!“ erwiderte der Romedi etwas unwirsch. „Wann’s dir zuviel Müh’ macht, kann i mir’s durch die Botin von der Stadt auch bringen lassen!“

„Sei nur nit gleich oben aus!“ beschwichtigte ihn der Luis und ging eilfertig in eine Ecke des Ladens, von wo er bald mit einem riesigen Packen Pappendeckel zurückkam. „Der wird wohl wieder a Weil’ langen?“ meinte er. „Und Marmelpapier is auch neues kommen. Kannst dir aussuchen, was dir g’fallt.“ Dabei zog er aus einer Lade einen Stoß bunt gesprenkelten Papieres hervor.

Der Romedi suchte lange aus, legte sich seinen Bedarf beiseite, den ihm der Kramer zu einer Rolle packte, und wollte sich, nachdem er noch einige Stücke Leim erworben, entfernen. Dem Luis schien aber daran gelegen zu sein, noch eine Weile Unterhaltung zu haben. Er zupfte den Burschen beim Aermel. „Wir sein ja nit auf’m Wasser, daß du di so zu schleunen brauchst. Setz’ di a wengerl nieder, und i schenk’ dir a Glaserl Kerscheler ein. So an seltenen B’such werd’ i doch nit gleich laufen lassen!“

Der Bursch folgte halb widerstrebend und setzte sich auf die Ladentafel. Gleich darauf stellte der Kramer den Kirschenschnaps neben ihn. „So, jetzt können wir doch noch a christliches Wort reden von Gott und der Welt. Sag’ amal, Romedi, tragt dir denn dein G’schäft etwas ein auch?“

„Sonst würd’ i wohl nit leben können!“ erklärte der Gefragte kurz, indem er an dem Schnapsglas nippte.

„Will’s glauben! Will’s glauben!“ versicherte der Kramer. „Schau, es is doch gut, daß so allerhand neue Moden in die Welt kommen. Zu meiner Zeit hätt’ einer bei so a Bransch verhungern müssen. Aber seit die Herrischen alleweil mehr in die Berg’ auferkraxelt kommen und mit ihre Winterfenster und Spekuliereisen[1] jeden Grashalm und jedes Stoandl[2] abschnuffeln – seitdem macht man halt mit di Stoaner auch a G’schäft.

„Wenn man’s versteht!“ erwiderte der Romedi, während ein spöttisches Lachen über sein Gesicht zuckte.

„Ja, ja,“ sagte der Kramer und rückte näher herzu. „Du mußt es in dei’m Hirnkasten schon ganz extra eing’richtet haben. I wüßt’ amal mit dö Stoaner nix anz’fangen!“

„Vielleicht kennst di mit der War’ besser aus, wenn sie in dei’m Gries und Mehl vorkommt!“ versetzte der Romedi boshaft.

„Mit so überflüssigen Reden kannst daheim bleiben!“ verteidigte sich der Luis aufgebracht und leitete gleich auf ein anderes Thema über. „Weißt schon das Neueste? Der Kurzweger Sagschneider is auf der Gant. In a paar Tagen versteigern sie ihm sein ganzes Zeug!“

„Dem Sagschneider?“ fuhr der Romedi empor. Die Nachricht machte sichtlich einen starken Eindruck auf ihn.

„Recht g’schieht ihr, der hochmütigen Bagaschi!“ lachte der Kramer. „Jetzt wird’s dem Sagschneider sein Weib, die Emerenz, wohl bleiben lassen, seidene Schürzen z’tragen und die teuersten Halstücheln, dö aufzutreiben sein, und a silbernes Miederg’schnür! Hat sich ja mit dem Kurzweger den allerbesten auszusuchen glaubt. War ja a G’riß um dös Diandl, und die Buab’n sein zu ihrer Schönheit wallfahrten gangen, als wann’s a wunderthätig’s Frauenbild am Altar wär’! Mir scheint, Romedi,“ meinte der Luis, mit den Augen zwinkernd, „du hast die Emerenz auch amal nit ungern g’sehen? Seid’s ja miteinander aufg’wachsen.“

Der Bursch stierte völlig geistesabwesend vor sich hin und schien die Frage des Kramers überhört zu haben. Dann raffte er sich auf, trank hastig seinen „Kerscheler“ aus und wollte gehen. Abermals hielt ihn der Kramer zurück „Mir dünkt, Romedi, du hast heut’ nit dein’ besten Tag?“

„Was macht denn nachher der Kurzweger?“ fragte der Romedi, um wenigstens etwas zu sagen.

„Der hat sich’s leicht vorg’nommen!“ spottete der Luis. „Der is auf und davon. Seit drei Tagen hat ihn koa Mensch mehr g’sehen. D’ Hoamat is ihm wohl z’eng wordn! Er wird nach Amerika sein.“ Der Kramer rückte jetzt wieder ganz nahe an den Romedi heran und flüsterte ihm ins Ohr: „Und weißt du, wer die Emerenz und ihren Mann auf nix bracht hat? I – hab’s than! I hab’ die größte Hypothek auf den Hof, und alle anderen Gläubiger friß i auf’m Kraut! I laß’ der stolzen Brut das Dach überm Kopf und ’s Bett unterm Buckel verkaufen! Dann wird’s die Emerenz wohl einsehen, daß sie mit dem Kramer Luis besser g’fahren wär’!“

„Mit dir?“ fragte der Romedi, dem es ganz wirblig im Kopf wurde.

„Ja, mit mir!“ zischte der Luis und stemmte beide Fäuste auf die Ladentafel. „I hab’ das Diandl zu mei’m Weib machen wollen! Und i hätt’ sie auf Händen tragen! A Leben hätt’ sie g’habt wie a Reichsgräfin! Freilich hat sie mi[r] abg’schnalzt! Aber von da an hab’ i mir’s g’schworen … und du siehst, i hab’ mein’ Schwur g’halten! Ja, ja, aufg’schoben is nit aufg’hoben!“ Damit brach er in ein krampfhaftes Gelächter aus.

Der Romedi stand unterdessen vor ihm und öffnete fortwährend seine beiden Fäuste, sie gleich darauf wieder ballend, als ob er in der Luft etwas kneten wollte. Jetzt faßte er den Kramer bei den Schultern, hob ihn mit einem Ruck über die Ladentafel und schrie. „Du elendige Kreatur, soll i dir nit gleich da auf der Stell’ dein Lebenslicht ausblasen! Du und die Emerenz! Himmelsakra! Mach’ Reu’ und Leid, sag’ i dir!“ Jede Muskel an dem starken Burschen bebte.

Der Kramer war leichenblaß geworden vor Angst. Nun erhob er ein mörderisches Geschrei. „Zu Hilf! Zu Hilf! Er bringt mi um!“

Das schien den Romedi zu ernüchtern. Er gab dem Luis einen „Schupfer“, daß er auf den nächsten Mehlsack zu reiten kam, griff nach seiner Rolle und meinte gelassen: „Hab’ koa Angst. Is mir nit der Müh’ wert, wegen so an Kerl ins Kriminal z’kommen. Aber das merk’ dir, Kramer! Der Letzte hat noch nit g’schlagen! Vielleicht reden wir Zwei noch a Wörterl mitanander!“

„Aber vor G’richt!“ zeterte der Luis, auf seinem Mehlsack, nach Atem ringend.

„Kann auch möglich sein,“ meinte der Romedi gleichgültig und war im nächsten Augenblick auf der Dorfgasse.

„Stoandlnarr! Stoandlnarr!“ brüllte ihm wütend der Kramer, der zur Thür geeilt war, aus Leibeskräften nach.

Der Romedi ließ sich durch den Schimpf nicht beirren und schritt rüstig fürbaß. Bald hatte er die letzten Häuser des

  1. Brillen und Ferngläser.
  2. Steinchen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 851. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_851.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)