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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 52.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


Einsam.

Roman von O. Verbeck.

     (21. Fortsetzung)

44.

Aus dem kühlen, späten, kümmerlichen Frühling war blühender, glühender Sommer geworden. Juli. Prachtvolles Erntewetter. Strahlend blauer, wolkenloser Himmel. Niederlehme schien fast menschenleer; alles, was arbeiten konnte, schaffte draußen auf den Feldern. Nur selten sah Hanna von ihrer Laube aus jemand an dem schulterhohen Weidenzaun des Gartens entlang gehen. In der zitternd heißen, unbeweglichen Sommerluft schwammen zuweilen ein paar schwatzende Stimmen in eintönigem Klange vorbei. Sonst war alles still weit und breit. Kein Windhauch rührte sich, die Blätter an den Bäumen standen unbeweglich.

Die einsame Frau saß schon eine gute Weile in träumerischer Ruhe, den Kopf angelehnt, die Füße auf ein Schemelchen gestützt, das Buch, in dem sie genug gelesen hatte, im Schoß. Die aufsteigende Tagesglut wurde ihr nicht zu heiß, noch hatte sie das innerliche Frieren nicht verlernt. Nur schien ihr nach und nach die unbewegte Luft in der Laube doch allzu dumpf zu werden. Die Sonne war herumgerückt und brütete über dem dichten Geißblattgerank. Im Hausschatten unter der großen Ulme mußte es jetzt besser zu sitzen sein.

Sie erhob sich und räumte die weggelegte Handarbeit vollends zusammen. Mit Körbchen und Buch ging sie dann unter den mannigfaltigen großen und kleinen Obstbäumen, zwischen Stachel- und Johannisbeerbüschen hindurch, an Salat- und Kohlrabifeldchen entlang, hinten, um die Hausecke herum in die „Wildnis“, den ungepflegten Teil des großen Gartens, der nicht dem Nutzen diente, in dem man schon seit geraumer Zeit Busch und Baum den Wicken ließ und das Gras nur schnitt, weil es Ziegenfutter gab.

Vom Hofe her klang jetzt lautes Hundegebell. Packan, der große Gelbe, mischte seine dröhnende Stimme mit Mollys kläffendem Diskant. Das war vielleicht schon der Briefträger, den man um diese Zeit erwarten konnte.

Hanna, anstatt sich unter der Ulme niederzulassen, ging noch weiter um das unregelmäßige Gebäude herum, bis sie aus der der Laube entgegengesetzten Seite das lange Rechteck des Hofes betrat. Ob nicht der Pastor heute schon etwas von sich hören ließ? Wenn er einwilligte – und sie erwartete es kaum anders –, dann gab es heute und morgen noch allerlei zu thun.

Wirklich trabte eben der Postbote, von Packan bis vors Hofthor geleitet, um die Ecke, und Bertha, die schon durch das Haus zur Laube hatte gehen wollen, machte in der Küchenthüre wieder kehrt, als sie die Herrin von der andern Gartenseite her erscheinen sah. Mit ihren nicht ganz saubern Händen getraute sie sich den Brief wohl nicht anzufassen, sie hatte den Schürzenzipfel darumgelegt und hielt ihn so an einer Spitze. Zwei Briefe vielmehr: den obersten, von Pastor Erdmann, erkannte Hanna sogleich, den andern auch – obwohl sie diese Handschrift seit etwa fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. Zum erstenmal, daß sie ihren Namen in diesen großen, kühnen, so ganz unschulgemäßen Zügen las. Sie warf dann einen scheuen Blick über die Achsel nach Bertha hin, aber das Mädchen hatte seine Arbeit schon wieder aufgenommen.

Unbeobachtet also, mit einem Seufzer der Erleichterung ging Hanna in den Garten

Selbstporträt Hans Holbeins des Jüngeren vom Jahr 1543.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_857.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)