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und zwar den zu früh verstorbenen geistvollen und feinsinnigen Peter Cornelius. Dieser, ein Neffe des gleichnamigen grossen Künstlers, sagt von der Schlacht zwischen Lykurgos und Bacchus: „Die reichste und wirkungsvollste von Genellis Kompositionen in der Schackschen Galerie ist die Lykurgosschlacht, ein Moment aus der Bacchus-Mythe, deren Keim schon die Illustrationen Genellis zur Ilias enthalten. Jenes Bild zeigt nur vier Figuren und gibt in einfachen Zügen die Hauptmomente. Lykurgos, von seinem Wagenlenker geführt, verfolgt den wehrlosen, nur mit Rebe und Thyrsus bewaffneten Gott an den Meeresstrand, wo eine auftauchende Nereide dem Fliehenden Rettung verheisst. Dieses einfache Motiv muss uns gewissermassen als Ariadnefaden dienen, unsere von der überquellenden Menge von Gruppen bestürmte Anschauung in diesem wogenden Labyrinth kämpfender Gestalten zu leiten. Der Wagen des Lykurgos mit seinem Viergespann, den thrazischen König und sein Gemahl tragend, bildet die Mitte; vor ihnen der verfolgte Gott, auf einem Centauren reitend, dessen menschliche Züge das verzweifelte Erwachen aus seliger Trunkenheit zu allen Schrecken der Schlacht ausdrücken. Um diesen Mittelpunkt des Bildes entfaltet sich ein Schlachtgewühl, das mit unbeschreiblichem Reichtum der Phantasie Gruppe an Gruppe reiht und zum Knäuel ineinander schlingt, und eine solche Fülle von Gestalten überall vor dem überwältigten Blick hervorwachsen lässt, dass man ins Endlose, Unübersehbare zu schauen glaubt und oft erst bei wiederholtem Schauen manche Figur wahrnimmt, die man anfangs übersah oder in dem Gewühl wieder aus dem Gedächtnis verlor. Genelli hat hier seinen Lieblingsgott im Moment des Leidens, Unterliegens zur Anschauung gebracht. Sein Bild bietet ein Seitenstück zu Schillers „Idealen“. Der erhabene Rausch der Begeisterung mit seiner Fülle schöner Gestalten wird von dem eisernen Fuss der Wirklichkeit schonungslos zerstört und niedergetreten: ein glühendes, täglich erlebtes Bild, welches der Künstler in dieser polyphonen Gestaltensymphonie einmal so recht voll ausatmen musste.“

„Das Kleinod von allen Bildern dieser Galerie ist jedoch Genellis Theatervorhang. In den Bacchusbildern war die Unmittelbarkeit, die Lyrik, die Empfindung mit einer unübertrefflichen Schönheit der Form gepaart, in ihnen glaubte ich mit Recht seinen Höhepunkt nach seiten seiner naiven Begabung bezeichnen zu müssen. Schiller belehrt uns darüber, dass in jedem echten Dichter das Naive und Sentimentale sich ergänzen, nicht eins von beiden einseitig vorwalten wird, wenn auch die Begabung in einer oder der andern Richtung ihren Schwerpunkt findet. Hier in dieser spätreifen und gedrungensten Arbeit Genellis stehen wir nun vor seinem zweiten und letzten Höhepunkt, und ohne langes Besinnen und Zögern sei es gesagt, sie ist sein vollendetstes Werk. Er hat die beiden Gipfel des Parnass erstiegen, von denen die früheren Zeiten sprechen, zuerst jenen, den sein göttlicher Bacchus beherrscht, und nun den, dessen Herrscher Apollo heisst. Aber wie! Erkennen und sagen wir es stolz und selbstbewusst: eines solchen Werkes war der Grieche nicht fähig, das hat ein Künstler gemacht, der nach und mit der Antike die Bibel, Dante, Shakespeare und Goethe nicht durchlesen, sondern durchrungen und durchdrungen hat. Der Theatervorhang ist Genellis Grabschrift, er ist sein Jüngstes Gericht, er ist seine Göttliche Komödie. Hier schiessen alle Strahlen dieses Genius in Einen Brennpunkt[WS 1] zusammen. Die Schönheit der Linie, die ihm angeboren, die keusche Poesie der Farbe, die feinste Stilempfindung der Anordnung trifft hier zusammen mit einem erhabenen Geiste, mit einer allen Gipfeln und Untiefen des Lebens abgerungenen Macht der Charakteristik, mit einer Reinheit der Seele und einer weihevollen poetischen Gerechtigkeit, welche allem Schönen und Grossen, was je gedichtet worden, die Hand reicht. Nacht und Licht als Mittelpunkt, Todsünden und göttliche Tugenden als ihre Sprossen und darunter in bunten Gestalten die Welt der Bretter, welche den Kampf zwischen beiden in poetischer Verklärung der Welt der Wirklichkeit zur Selbsterkenntnis und Läuterung als Spiegel entgegenhält: das ist der Inhalt eines Bildes, dessen Dichter das tiefste Mark seines Genius mit dem vollen Leben des Dramas durchdringen musste, ehe er dieses Werk zu schaffen vermochte. Im Anschauen dieses einzigen Bildes lösen sich denn auch alle bangen Fragen um das irdische Dasein dieses Genius in dem lauten Rufe des Enthusiasmus, welcher seinem unvergänglichen Fortleben gilt.“

Soweit Cornelius. Im Herbste 1868 starb Genelli, nachdem ihm sein einziger geliebter Sohn, der talentvolle Camillo, vorausgegangen. An seinem Sterbebette stand seine Gattin, die mit nicht genug zu preisender Ausdauer und Geduld ihm die Sorgen und Mühsale des Lebens zu erleichtern gesucht hatte. Als ihn der Tod ereilte, schickte er sich eben an, den „Bacchus unter den Piraten“, dessen Karton an das Museum in Weimar übergegangen ist, als Oelgemälde für mich auszuführen. Vollendet hatte er noch während seines letzten Lebensjahres den Bacchus unter den Musen, der eine Perle meiner Sammlung bildet. Dionysos, der Gott der Begeisterung und des jugendlichen Seelenrausches, war von jeher sein Liebling gewesen, und es ist bedeutungsvoll, dass sein letztes Bild ihn feiert. Da es ein lyrisches Gedicht in Farbe und Umriss ist, könnte man es sein Schwanenlied nennen, einen Dithyrambus auf die Schönheit, der warm und voll, wie er aus der trunknen Seele des Künstlers gequollen, durch die Jahrhunderte tönen wird. Ueber dem Gemälde liegt eine so göttliche Heiterkeit, dass man glauben sollte, es müsse aus dem Gemüte der Beschauer den Weltschmerz, an welchem so viele kranken, für immer verscheuchen. Nur Perioden des Verfalls, nur kleine und kränkelnde Seelen, lassen sich durch solche verzweifelte Stimmung unterjochen; das Hellas des Perikles und die grosse Epoche des Wiederaufblühens der Wissenschaften haben jene trübselige Lebensauffassung nur in momentanen Anwandlungen gekannt, sich aber niemals durch sie beherrschen lassen. Und auch unsere Zeit sollte sich aus ihr emporraffen. Ein Prophet der neuen Periode aber, die sich gleich jener der Renaissance in Lebensfreudigkeit und kräftigem Wirken der Lösung ihrer grossen Aufgaben hingeben wird, ist Genelli. In seinem „Bacchus“ glaube ich den Künstler selbst zu sehen, wie das irdische Gewand von ihm gesunken und er verklärt in ewiger Jugend den Chor der Musen führt. Möge er so fortleben, den kommenden Geschlechtern ein leuchtendes Beispiel, wie der Genius sich unter dem schlimmsten Drucke der Verhältnisse, unter Verkennung und Missachtung, aufrecht zu erhalten vermag, um zuletzt als Sieger aus dem Kampfe hervorzugehen und sich der kleinen Schar der Unsterblichen anzureihen, deren Ruhm hell fortstrahlt, wenn derjenige vieler ihrer Zeitgenossen längst wie matter Kerzenglanz erblichen ist.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bernnpunkt