Seite:Die Gemälde-Galerie des Grafen A. F. v. Schack.pdf/17

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II.


Auf Moritz von Schwind war ich schon weit früher aufmerksam geworden, als auf Genelli. Sein „Sängerkrieg auf der Wartburg“ im Städelschen Institute zu Frankfurt a. M. hatte einen gewaltigen Eindruck auf mich gemacht, und ich erinnere mich noch der heftigen Kämpfe, welche ich mit Personen zu bestehen hatte, die andere, damals vielbewunderte, jetzt meist nur mit Geringschätzung betrachtete Bilder derselben Sammlung hochpriesen, dagegen die Bedeutung dieses grossartigen Werkes nicht anerkennen wollten. Etwas später sah ich mit Entzücken das „Leben der heiligen Elisabeth auf der Wartburg“, eines der edelsten Werke deutscher Kunst. Ich säumte daher nicht, bald nach meiner Ankunft in München, das Atelier des Meisters aufzusuchen und gewann durch die zahlreichen Skizzen und halb vollendeten Bilder, die ich hier fand, einen noch viel höheren Begriff von dem Reichtum seines Talents. Auch Schwind war bis in das vorgerückte Lebensalter, in dem er damals schon stand, durchaus nicht in seiner Bedeutung gewürdigt worden, und er sprach sich, während Genelli sich in stolzes Schweigen hüllte, hierüber mit unverhohlenem Unmute aus. Seine beissenden, oft überaus witzigen Ausfälle gegen Künstler, die von dem urteilslosen Haufen vor ihm bevorzugt wurden, liefen von Mund zu Mund. Da sich seine Sarkasmen noch höher verstiegen, so verscherzte er hierdurch auch die „Wohlgeneigtheit“ Desjenigen, von dessen Aufträgen Ruhm und äusserer Vorteil der Künstler im damaligen München abhing. Er vertraute mir sogleich, dass er sich seit zwanzig Jahren vergeblich nach einer Bestellung sehne, welche es ihm ermögliche, eine seiner Lieblingskompositionen – die Rückkehr des Grafen von Gleichen – in Oelfarbe auf die Leinwand zu bringen. Die Bleistiftzeichnung derselben, die er mir zeigte, erregte mein lebhaftes Interesse und ich zögerte nicht, ihm den gewünschten Auftrag zu erteilen. Auch hier wurden von vielen Seiten Versuche gemacht, mich von diesem Schritte zurückzuhalten. Mir ward gesagt, die Vorsicht gebiete, nur fertige Bilder zu kaufen, da es ja zweifelhaft sei, ob die bestellten nach Wunsch ausfallen würden. Es ist etwas Wahres an diesem Satze, ohne dass er völlig und für alle Fälle Geltung hätte. Ich habe, indem ich solche mir gegebenen Rathschläge in Erwägung zog, wohl zuweilen geschwankt, mich aber schliesslich, wo ich ein echtes Talent vor mir hatte, nicht durch sie irre machen lassen, und dass ich dies nicht gethan, hat wie ich glaube, der Kunst zum Segen gereicht. Da es für grosse figurenreiche Gemälde nur wenige Liebhaber gibt, so ist nicht leicht ein Künstler in der Lage, Jahre an die Ausführung derartiger Entwürfe zu setzen, wenn er noch nicht weiss, ob er einen Käufer finden werde. Kaum ein einziges dieser Bilder, welche gerade die wertvollsten Zierden meiner Sammlung ausmachen, würde ins Leben getreten sein, wenn ich jenen Ratgebern gefolgt wäre. Fast sämtliche Werke Schwinds, Genellis, Feuerbachs und vieler anderer, die sich in meinem Besitze befinden, sind von mir bestellt worden, allerdings, nachdem ich die Skizzen gesehen und gebilligt, und bei keinem einzigen habe ich den gefassten Entschluss zu bereuen gehabt. Freilich weiss Niemand mit völliger Sicherheit voraus, ob sein Werk, selbst bei dem ernstesten Willen und angestrengtesten Fleisse, ganz gelingen werde. Aber eine gute Komposition behält unter allen Umständen ihren Wert, und hierauf gründete sich meine Zuversicht. Die Entwürfe, welche ich als gut erkannt, würden, auch bei mangelhafter Ausführung, noch immer ihre bedeutsamen Vorzüge bewahren.

Schwind arbeitete mit grosser Liebe und Hingebung am Grafen von Gleichen. Wie konnte es auch anders sein, da er diesen Stoff ein halbes Menschenalter in sich getragen und sich darnach gesehnt hatte, ihn in Umriss und Farbe verkörpern zu dürfen? Nach etwas mehr als einem Jahre liebevollsten Fleisses, das er ausschliesslich dem Gemälde gewidmet hatte, war dasselbe vollendet. Es stellt den Moment dar, wo der Graf mit der schönen Sarazenin, seiner Retterin aus der Gefangenschaft, nach Burg Gleichen zurückkehrt und von seiner Gemahlin zärtlich empfangen wird; die Geschichte ist aus Goethes Stella Allen bekannt. – Die Hauptgruppe, darunter besonders der Kreuzritter, der trotz der Freude des Wiedersehens seine Verlegenheit wegen der mitgebrachten Geliebten nicht verbergen kann, und die gute Hausfrau, in deren Zügen man liest, dass sie aus Dankbarkeit für die Befreiung des Gemahls nichts dawider hat, die Muhamedanerin als zweite Gattin im Hause aufzunehmen; dann die verschiedenen Heimkehrenden und Burgbewohner, unter ihnen jeder mit eigentümlichem Ausdruck: die Frau des den Ritter begleitenden Knappen, die sich inzwischen wieder verheiratet hat und kaum wagt, die Augen vor dem ersten Mann aufzuschlagen, sowie ihre Tochter, welche um so dreister in die Welt hineinblickt; endlich der Haushund und das aus Palästina wieder anlangende Pferd, die einander liebkosen und als alte Bekannte begrüssen – es ist ein Bild voll Innigkeit, wie die Kunst nur wenige hervorgebracht hat. Das ganze Mittelalter wird uns darin in seinen schönsten Zügen vor Augen gezaubert. Schwind war selbst bis an sein Ende mit Recht stolz auf diese Leistung und nannte sie das beste unter seinen grösseren Gemälden.

Der „Graf von Gleichen“ war eine so unerschöpfliche Quelle von Freude und Genuss für mich, dass ich die Begierde nach weiteren Werken des Meisters nicht unterdrücken konnte. Ich erwarb zunächst die nach meinem Geschmacke schönsten unter den Bildern, welche sich fertig in seiner Werkstatt fanden und die unbegreiflicher Weise, wiewohl sie zu dem Kostbarsten der Kunst gehören, bisher keinen Käufer gefunden hatten. Obgleich deren eine beträchtliche Anzahl war, wuchs doch mit ihrem Besitze mein Verlangen nach neuen ähnlichen Erwerbungen, und Schwind liess sich bereit finden, bis zu seinem, im Jahre 1871 erfolgten Tode, noch verschiedene andere Gemälde eigens für mich zu vollenden. Auf solche Art wurden im ganzen 34 Werke von ihm mein Eigentum, so dass meine Sammlung mehr derselben zählt, als alle übrigen öffentlichen und Privatgalerien zusammengenommen. Sie bilden für mich einen köstlichen Besitz, und ich glaube, ihnen einen unvergänglichen Wert zuschreiben zu können. Viele darunter sind nur von bescheidenem räumlichen Umfange; aber die Bedeutung eines Kunstwerkes wird nicht nach seiner Grösse geschätzt. Man stellt das kleine Bild des „Christus mit dem Zinsgroschen“ mit Recht in die vorderste Reihe von Tizians Bildern, und Rafaels kleine Madonna aus dem Hause Connestabile, welche eine Handfläche bedecken kann, wiegt alle riesenhaften Hervorbringungen eines Luca fa presto auf. So ist auch ein einziges dieser kleinen Gemälde unseres Meisters manchen solchen vorzuziehen, die 50 Fuss ins Geviert einnehmen, ohne dass ein Quadratzoll auf ihnen gut wäre.

So wie Weber der specifisch deutsche Komponist ist, muss Schwind der specifisch deutsche Maler genannt werden. Vor seinen Schöpfungen glauben wir Luft aus den deutschen Eichenwäldern einzuatmen; aus dem Laubgrün hallen Waldhornklänge an unser Ohr; ferne Berggipfel, mit alten Burgen gekrönt,