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sonstigen seiner schönsten Werke, dass der Genius sich siegreich über jene andere, vom klügelnden Verstande erdachte Theorie hinwegsetzen und Herrliches schaffen kann. Die erstaunliche Wirkung dieses Bildes beruht, neben dem unmittelbar zur Erscheinung gebrachten, auf dem, was der Künstler nur ahnen lässt und der Einbildungskraft hinzuzufügen gibt. Von dieser Felsspitze meint die erregte Phantasie in unermessliche Abgründe hinabzuschauen, in welche die Nacht zurückweicht, das Geräusch des erwachenden Lebens zu hören, das von unten emporhallt, während umher andere Berghäupter im Morgenglanze aufglühen, bis das Licht nach und nach von Felsenzacke zu Felsenzacke hinabklimmt, und zuletzt ein weites Meer des Glanzes überallhin seine Wellen schlägt.

Der Mittag zeigt einen See zwischen steilen Felsgebirgen, welche doch die Sonnenglut nicht abhalten können, mit ganzer Gewalt auf die von keinem Lufthauche bewegte Fläche des Wassers zu fallen. Die kristallene Flut ist so klar, dass man bis auf ihren Grund zu schauen glaubt. Ein schwimmender Fisch wird unter ihrer Oberfläche sichtbar; aus der Mitte des Sees aber hat sich eine Nixe erhoben und betrachtet sich selbstgefällig, in dem glitzernden Wellenspiegel ihr langwallendes, goldblondes Haar ordnend. Der malerische Effekt ist ausserordentlich. Bisweilen hat man gesagt, es sei unnatürlich und lächerlich, dass das Haar der Nixe in solcher Fülle, beinahe wie ein Gewand ihren Oberleib umgebend, weit herabfliesse; als ob der Maler bei einem Gebilde der Märchenwelt sich an das Modejournal zu halten hätte! Solcher mächtiger Haarwuchs bei Jungfrauen spielt eine grosse Rolle in den germanischen Sagen, und die Vorstellung, dass er eine besondere Schönheit sei, scheinen unsere Vorfahren aus ihrer ältesten asiatischen Heimat mitgebracht zu haben; schon in der alt-iranischen Sage kommt vor, wie Rudabe, auf dem Balkon stehend, ihre Locken aufgelöst herabfliessen lässt und ihren geliebten Sal auffordert, sich derselben als einer Strickleiter zu bedienen, um an ihr emporzuklettern; und eben dies wiederholt sich in mehreren deutschen Märchen. Gewiss hatte der Maler recht, ein solches Motiv zu benutzen, und die Erscheinung seiner Nixe ist dadurch von grosser pittoresker Wirkung geworden. Ich will hier auch noch an Tizians „Magdalena“ im Palast Pitti erinnern, welche in ihre goldblonden Haare wie in einen Mantel gehüllt ist.

Der Abend ist wohl nie mit so tiefer Naturempfindung dargestellt worden, wie von Schwind. Er hat ihn in seinem innersten Sein, nicht bloss in der äusseren Erscheinung, uns vor Augen zu führen gewusst. Auf Wolken erblickt man, nur in matten, dämmernden Umrissen, den Tag, wie er sich zum Schlummer hinstreckt. Eben ist der Mond aufgegangen und giesst seine blassen Strahlen zur Erde nieder, über die sich das erste Abenddunkel hinzieht. Die Nachtfalter beginnen ihren Flug, die Bäume nehmen unheimliche, gespenstige Gestalten an, wie sie wohl den verirrten Wanderer erschrecken, der umsonst gesucht hat, sein Nachtquartier vor Dunkel zu erreichen. Man fühlt, wie sich Stille und träumerisches Schweigen auf die Flur legt, wird aber zugleich von dem leisen Schauer des Unheimlichen durchdrungen, als ob man abends auf einem Friedhofe stände und sich vor der Erscheinung von Geistern fürchtete. Eine hohe Kunst zeigt sich darin, dass hier durch das mehr Andeutende, als Ausgeführte, eine Stimmung hervorgerufen wird, wie sie selbst der Nüchternste wohl einmal an sich erlebt hat. Ich glaube, noch kein Maler hat tiefer die Seele der Natur zu erfassen gewusst, als hier Schwind.

In dem letzten dieser vier Rundbilder schwebt die Nacht mit den beiden Genien des Schlafes und Todes durch den Himmel, und wir glauben mit ihr über die träumende Erde hinzuziehen. In feierlichem Schweigen hat die grosse Mutter alles Lebenden und Toten ihren Mantel durch die Lüfte gebreitet, und während der eine ihrer Zwillingssöhne sein mohnbekränztes Haupt schlummernd unter dessen Falten birgt, der andere die Fackel senkt, ahnen wir Wonne und Leid der Menschen unten, über die sie dahingleiten, indes hier Ermüdete im Schlafe Vergessenheit aller Tagesmühen schlürfen, dort Herzen von Sterbenden ihre letzten Schläge thun. Aber über den drei Gestalten und ihren Gesichtszügen ruht eine so himmlische Seligkeit, dass selbst die Trauer sich sänftigt, ja uns süsse Sehnsucht anwandelt nach dem Reich des Friedens und der Stille, über das die Allmutter gebietet.

Einen ganz wunderbaren Eindruck macht ein kleines Bild, in Betracht dessen ich oft gefragt worden bin, was es wohl vorstelle. Man sieht den obern Teil des Innern eines gotischen Domes mit gemalten Glasfenstern. An demselben schwebt ein Engel mit einem Lilienstengel vorüber, und hält an der Hand, schwebend wie er selbst, einen jungen Mann in altdeutscher Tracht. Die Idee Schwinds war, einen Traum des Erwin von Steinbach darzustellen, wie er als Jüngling schon sein künftiges Bauwerk, den Münster von Strassburg, im Geiste vollendet vor sich erblickt und ein Cherub ihn in demselben umherführt. Wenn ich länger vor diesem Bildchen stand, war mir oft, als ob es sich ins Unermessliche erweitere, als ob ich wirklich von oben herab in einen gotischen Dom schaute, und die Tiefe schien mir so ungeheuer, als müsste ich mich an der Hand des Engels festhalten, wie Erwin, um nicht vom Schwindel erfasst zu werden. Ich würde dieses kleine Juwel für kein anderes, noch so glänzendes, hingeben.

Von grösserem Umfange ist eine Waldscene, wo zwei Nixen aus einer Quelle hervorgetaucht sind und einem Hirsch Nahrung bieten. Schwind, der sich seiner Bedeutung sehr wohl bewusst war, sagte einmal zu mir, er glaube der einzige zu sein, der einen Wald malen könne; und dass er hierin recht hatte, zeigt dieses sein Bild. Mächtig aufragende Stämme von Eichen und Buchen wölben ihre breiten Wipfel zu einem dichten Schattendach über ein unten liegendes Bergthal. Nur verloren zittern einzelne Lichter in die grüne Dämmerung herab, wo man auf dem feuchten Moosgrunde das Leben der Pflanzen- und Insektenwelt mehr ahnt, als sieht. Libellen wiegen sich auf den Ranken und Stauden, die sich über die Quelle neigen, und im leisen Windhauche auf- und niederschwanken. Man glaubt das Regen und Flüstern in den Halmen zu hören. Und unwillkürlich steigen in dem Beschauer Bilder der Märchenwelt empor, die sich in den Nixen verkörpern. Lässt er dann den Blick durch die urweltlichen Kolosse von Bäumen hindurch in das Walddickicht und empor zu ihren Kronen schweifen, so fühlt er seine Seele von dem bestrickenden Zauber weltentrückter Einsamkeit umfangen, zu der kein Ton des Lebens dringt. Oft habe ich an trüben Wintertagen mich beim Betrachten dieses Gemäldes in tiefe Waldnacht versetzt geglaubt und dieselben wonnigen Empfindungen durch mich hinziehen lassen, wie da ich halbe Tage in den entlegenen Thälern des Odenwaldes den Odem des Naturgeistes in mich sog, während nur hie und da der Schlag einer fallenden Axt fernher im Walde hallte. – Ueber solche Zaubermacht gebietet die echte Kunst.

Eine selige Frühlingsstimmung herrscht in einem andern Bilde, wo, vom grünen Blätterdache überdeckt, ein Knabe, nur leicht bekleidet, am Boden liegt und, ein Horn am Munde, den Jubel seines Herzens in die Welt hinaustönen lässt. Schwind pflegte dieses Gemälde des Knaben Wunderhorn zu nennen. Da seine Jugend in die Blütezeit der romantischen Schule gefallen war, hatte dieselbe ihn stark beeinflusst, und seine Neigung zum Volksmässigen wird aus dieser Quelle geflossen sein. Alle seine Sympathien in der Litteratur gingen nach der angedeuteten Richtung hin; er spottete oft über Schiller, den er einen Rhetor und Deklamator nannte, und wollte auch Goethe nur in seinen Jugendwerken gelten lassen. Tieck und Brentano dagegen pries er hoch: ob sich diese Verehrung auch auf Arnim ausdehnte,