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Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1

auf dem halben Wege Eure Pläne geändert ohne zugleich einen andern Weg einzuschlagen, und seid Ihr irre gegangen, so dürft Ihr nicht das Geschick sondern nur Euch selbst anklagen. Ein bloßer Wunsch ist noch kein Wille. In der Kraft liegt der Wille. Jeder Mensch und mehr noch jedes Volk kann, was es will. Bettler weist das Glück von sich, es bewilligt alles, was man ihm gebieterisch abverlangt.

Das achtzehnte Jahrhundert hat dem neunzehnten nichts vorgelogen, es hat alle seine Verpflichtungen erfüllt, Ihr habt keine Forderung mehr an es zu machen. Sein riesenhaftes Programm hat sich vor Euren Augen bis zum letzten Gemälde feierlich entrollt. Die damalige Literatur hat ihre Wirkung hervorgebracht. Was sie gesäet hat, das habt Ihr geerndtet. Wollt Ihr andere Früchte, so bedürft Ihr andere Saaten und neue Arbeit. Die voltairische Philosophie, diese Quelle der damaligen Zeitgeschichte, ist erschöpft und vertrocknet. Die Schüler des Dichters der Pucelle haben gesiegt, die Actionnäre der Encyklopädie haben gute Geschäfte gemacht; was hat man da zu klagen? Giebt es Unbehaglichkeiten, die nicht blos von heute, sondern älter sind, so hat das darin seinen Grund, daß es auch ältere Täuschungen giebt. Wahr ist es, manche sociale Nothwendigkeiten erwarten noch heute ihre Befriedigung und sind schon in den ersten Zeiten der Revolution tief gefühlt worden, aber damals, wie heute, nur in der erhöhten Stimmung einzelner hellsehender und prophetischer Geister, in der Aufwallung edler Gemüther, es war dieß nur Schaum und hohles Luftgebilde. Die wahrhafte Begeisterung, welche Hindernisse überwindet, ist das Hervortreten der Ueberzeugung der ganzen Welt. Es bedarf aber eines langen Wachsthumes bis aus den Meinungen der Einzelnen die einer Nation sich entwickeln, ehe diese Meinungen zu Ueberzeugungen werden und ehe diese ihre Dämme überschreiten.

Wieviel Anhänger zählt jede Meinung, die dem gegenwärtigen Zustande der Dinge vorauseilt? Sehr wenige, und sind es viele, — um so schlimmer; dann wäre der Beweis leicht zu führen, daß die Anhänger dieser Meinungen die Anzahl und die Stärke ihrer Partei selbst nicht kennen, weil sie unter sich nicht einig sind und sich nicht gezählt haben. Wären sie einig und fühlten sie ihre Stärke, warum sind sie so muthlos? Mit Schmerz mußten wir uns also verschiedene jetzige Zustände erklären.

Der Stand der Literatoren war früher ein Priesterthum, jetzt ist er ein Handwerk. Die des achtzehnten Jahrhunderts jagten nicht nach Glücksgütern, das Glück suchte sie auf. Als die Erzieher der Menschheit noch in Dachstübchen wohnten, wurden sie von Königen besucht, seitdem sie wie Stutzer einquartirt sind, kommen nur noch Bediente zu ihnen, um ihnen Einladungskarten zu bringen, die für Jedermann lithographirt sind und nach

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Verschiedene: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jahrgang, Band 1. Herbig, Leipzig 1841, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Grenzboten_1-1841.pdf/119&oldid=- (Version vom 31.7.2018)