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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Bande einen Brief, ein Gedicht aus und setzte es als handschriftliche Mitteilung in Umlauf, und ich hatte immer die Genugthuung, das Ding munter durch die ganze Presse circuliren zu sehen. Insbesondere gewährte mir der Dichter Heine die fetteste Nahrung; ich gedieh an seinem Krankenbette förmlich wie die Rübe im Mistbeete.“

„Aber Ihr seid ja ein ausgemachter Hallunke gewesen!“ rief der alte Herr mit Erstaunen, und Meister Georg versetzte: „Ich war kein Hallunke, sondern eben ein armer Tropf, welcher seine Kellnergewohnheiten in eine Thätigkeit übertrug und in Verhältnisse, von denen er weder einen sittlichen noch einen unsittlichen, sondern gar keinen Begriff hatte. Überdies brachte mein Verfahren Niemandem einen wirklichen Schaden.“

„Und wie seid Ihr denn von dem schönen Leben wieder abgekommen?“ fragte der Alte.

„Eben so kurz und einfach, wie ich dazu gekommen!“ antwortete der Exschriftner, „ich befand mich trotz alles Glanzes doch nicht behaglich dabei und vermißte besonders die bessere Nahrung und die guten Weinrestchen meines frühern Standes. Auch ging ich ziemlich schäbig gekleidet, indem ich einen ganz abgetragenen Aufwärterfrack unter einem dünnen Ueberzieher Sommer und Winter trug. Unversehens

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/159&oldid=- (Version vom 31.7.2018)