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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

fiel mir aus der Heimat eine kleine Geldsumme zu, und da ich von früher her noch eine alte Sehnsucht nährte, ordentlich gekleidet zu sein, so bestellte ich mir sofort einen feinen neuen Frack, eine gute Weste und kaufte ein gut vergoldetes Uhrkettchen sowie ein feines Hemd mit einem Jabot. Als ich mich aber, dergestalt ausgeputzt, im Spiegel besah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen; ich fand mich plötzlich zu gut für einen Schriftsteller, dagegen reif genug für einen Oberkellner in einem Mittelgasthofe und suchte demgemäß eine Anstellung.“

„Aber wie kommt es“, fragte der Gast noch, „daß Ihr nun so einsichtig und ordentlich über jenes Treiben zu urtheilen wißt?“

„Das mag daher kommen“, erwiderte Georg Nase lächelnd, „daß ich mich erst jetzt in meinen Mußestunden zu unterrichten suche, aber bloß zu meinem Privatvergnügen!“

Worauf der Alte endlich seine Zeche bezahlte und sich entfernte, nachdem er den Aufwärter eingeladen, in Zukunft doch an den Gesprächen der Gäste Theil zu nehmen und ja nicht zu versäumen, von seinen lustigen Thaten und Erlebnissen soviel mitzutheilen, als er immer wüßte. So fügte es sich, daß in diesem Gasthofe die täglichen Stammgäste sammt dem

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/160&oldid=- (Version vom 31.7.2018)