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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

die beiden Namen zusammengezogen, gibt ein famos klingendes Wort: Kurtalwino, Briefe zweier Zeitgenossen! Das ist gut, ganz gut!“ Und übermüthig froh fing er in dem Gehölz, durch das er ging, plötzlich an zu singen in der Melodie des Rinaldiniliedes: Kurtalwino, rief sie schmeichelnd, Kurtalwino, wache auf! Deine Leute sind schon munter, längst ging schon die Sonne auf u. s. f. Mit diesem verrückten Gesange weckte er einen schlanken jungen Mann auf, welcher unter einer Tanne saß und, den Kopf auf die Hand gestützt in tiefen Gedanken in das Thal schaute. Es war Wilhelm, welcher sich auf den ersten Ton von Herrn Störtelers Gesang erhob und davon eilte. Dafür setzte sich dieser an seinen Platz, als er eine dicke Brieftasche dort liegen sah, die jener offenbar vergessen. „Was hat“, sagte er, „dieser Hungerschlucker im Freien zu thun, anstatt seine Schulhefte zu mustern? Was Kuckucks hat er hier für ein Archiv bei sich gehabt?“ Und ohne Weiteres öffnete er das Bündel und fand die Unzahl Briefe Gritlis, welche, obschon auf feines Postpapier geschrieben, doch kaum zusammenzuhalten waren. Er machte sogleich den ersten auf; denn, dachte er, wer weiß, welch' interessantes Geheimnis, welche gute Studie hier zu erbeuten ist!

Der Brief fing an: „Wenn sich zwei Sterne küssen“

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/191&oldid=- (Version vom 31.7.2018)