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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

sie den Zuckerbäcker und aß eine Apfeltorte. Dafür bekam Viggi dann von den rachsüchtigen Correspondenten doppelt so viele unfrankierte Zusendungen mit „Gruß und Handschlag“ und heimlichen Verwünschungen.

Während dieser Zeit war Gritli wie von der Erde verschwunden. Man sah sie nirgends und hörte nichts von ihr, so eingezogen lebte sie. Wenn sie ausging, so trat sie aus der Hinterthür ihres Hauses, welches an der Stadtmauer lag, ins Freie und machte einsame Spaziergänge; auch war sie öfters abwesend, manchmal Monate lang, wo sie sich dann an andern Orten bescheidentlich erholen und ihrer Freiheit freuen mochte. In Seldwyla war sie für keinen Freier zu sprechen; doch hieß es mehrmals, sie habe sich auswärts von Neuem verlobt, ohne daß Jemand etwas Näheres wußte. Daß sie sich auch nichts um Wilhelm zu kümmern schien und ihn niemals sah, wunderte Niemand; denn Niemand glaubte, daß sie ernstlich dem armen jungen Menschen zugetan gewesen sei.

Desto schlimmer erging es ihm. Von ihm zweifelte Keiner, daß er nicht bis über die Ohren in Gritli verliebt sei, und Männer wie Frauen nahmen es ihm äußerst übel, die Augen auf sie gerichtet zu haben, während er zugleich wegen seiner leichtgläubigen Briefstellerei verhöhnt wurde. Sogar die Mädchen am Brunnen sangen, wenn er vorüberging:

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/219&oldid=- (Version vom 31.7.2018)