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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Lustigmachern stets erneuerte. Der Mann klagte dem Einsiedler seine Not; Wilhelm dachte nach und rieth ihm dann, der Frau das Haar dicht am Kopfe wegzuschneiden, damit sie ein Jahr lang nicht ausgehen könne. Denn er hielt sich für einen Weiberfeind und freute sich, Einer eine Buße anzuthun. Doch der Tuchscheerer sagte, das ginge nicht an, das Haar seiner Frau sei zu schön und, da sie sonst nicht viel tauge, ein Hauptstück seines Inventars. Da besann sich Wilhelm auf’s Neue und rieth ihm dann, der Frau den Milchverkauf zu übergeben und ihr einen Theil des Gewinns zu lassen. Dadurch würde ihre Habsucht gereizt, sie werde nicht verfehlen, Wasser unter die Milch zu mischen, sich deshalb mit der ganzen Stadt verfeinden und in eine wohlthätige Isolirung geraten. Dieser Plan ward nicht übel befunden und bewährte sich auch so ziemlich. Die Frau fand Freude an dem Gewinn und war, besonders des Abends, ans Haus gebunden, um das Melken der Kühe zu überwachen und zu sehen, daß sie nicht zu kurz käme.

Inzwischen war der Herbst gekommen und für Wilhelm nichts weiter zu thun, als das Vieh zu hüten, welches jetzt auf die Weide getrieben wurde. Er ließ sich das demüthige Amt nicht nehmen und wollte wenigstens einen Herbst entlang mit den schönen

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/232&oldid=- (Version vom 31.7.2018)