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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

der ganze Berg mit ihrem Bilde, auf Weg und Steg trat es ihm entgegen und guckte ihm durch die runden Scheiben; es schien ihm unerträglich, so nahe bei ihr zu wohnen, und doch hätte er nicht wegziehen mögen; denn der Umstand, daß sie jetzt frei und einsam war, vermehrte die Unordnung seiner Gedanken. Doch zuletzt wurde er nochmals Meister über dies Wesen und stellte sich wieder steif auf die Beine.

Als der erste Schnee fiel, war es mit dem Hirtenleben vorbei; der Tuchscheerer wollte Wilhelm nun zu sich ins Haus nehmen. Der aber sträubte sich dagegen und bat, ihn auf dem Berge zu lassen; Jener mochte ihn in seiner Laune nicht hindern, schaffte ihm einen kleinen Ofen hinauf und versah ihn mit allerhand Arbeit von sich und Andern. Auch kaufte sich Wilhelm für den Lohn, den er erhielt, einige Bücher, die ihm der Tuchscheerer besorgte, damit er der Pflege seiner Geisteskräfte obliegen könne, und so wurde er bald eingeschneit und sah sich einsamer als je.

Eigentlich nur so einsam, als ein rechter Einsiedel sein kann, denn ein solcher hat noch allerlei Zuspruch. So bekam auch Wilhelm jetzt eine wunderliche Kundschaft. Die Bauern der Umgegend, mehrere Stunden in die Runde, sprachen von ihm als von einem halben Weisen und Propheten, was hauptsächlich von seinem Treiben im Walde und der

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/235&oldid=- (Version vom 31.7.2018)