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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

und Kegel so vollzählig um den Sonntagsbraten saßen, daß die Straßen stiller waren als in dunkler Mitternacht.

Mit ängstlicher Erwartung verschlangen Gritlis Augen die muthwillige Freundin, als sie lachend in die Stube trat. Diese umarmte und küßte sie sogleich, indem sie rief: „Komm, es ist mir ganz küsserlich zu Muthe geworden bei Deinem Schatz!“ „O! sei nicht so häßlich!“ rief Jene vorwurfsvoll, „Du hast doch nicht so tolles Zeug getrieben! Wie ist es gegangen? Wie hat er sich gehalten?“ „Sei ruhig, wie ein Stück Holz hat er sich gehalten!“ sagte Aennchen, und Gritli rief: „Gott sei Dank! So wollen wir es denn dabei bewenden lassen!“ „Bewenden lassen? das wäre eine schöne Geschichte!“ fuhr Aennchen dazwischen, „da wüßten wir erst recht nichts! Er war wie ein Stück Holz, aber nun kommt erst die Hauptsache, wo er sich immer noch zum Schlimmen wenden kann, freilich auch zum Guten! Nun, wie er sich bettet, so wird er liegen!“

Da ermannte sich Gretchen abermals und sagte: „Ja! es muß durchgeführt sein! Wenn er Deinen Teufeleien entrinnt, so hat er sich gründlich gebessert und wird um so preiswürdiger sein!“

Also machte sich die Versucherin am zweiten Tage wieder auf den Weg, und zwar in der Abenddämmerung.

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/253&oldid=- (Version vom 31.7.2018)