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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

und offenherzig auch dasjenige mit der Frau Aennchen und wie nur die Erinnerung an jenen Anblick, da Gritli auf seiner Treppe gesessen, ihn vor dem Abfalle bewahrt habe.

Gritli streichelte ihn hinwieder, küßte ihn und sagte: „So bist Du also einer von den Rechten, bei denen keine Mühe verloren ist!“

Als der Mai gekommen, hielten sie unter blühenden Bäumen eine fröhliche Hochzeit. Während sie die Reise machten, suchte der Tuchscheerer in der Gegend für sie ein beträchtliches Landgut, welches sie nach ihrer Rückkehr kauften und bezogen. Wilhelm baute den Besitz mit Fleiß und Umsicht und mehrte ihn, so daß er ein angesehener und wohlberathener Mann wurde, während seine Frau in gesegneter Anmuth sich immer gleich blieb. Wenn ein Schatten des Unmuthes über ihren Mann kam oder ein kleiner Streit entstand, so entrollte sie ihre Locken, und wenn deren Macht nicht mehr vorhalten wollte, so strich sie dieselben wieder hinter die Ohren, worauf Wilhelm aufs Neue geschlagen war. Sie hatten wohlerzogene Kinder, welche sich, als sie erwachsen waren, andere Wohlerzogene zur Ehe herbeiholten. Auch der Tuchscheerer blieb in der Freundschaft und erhielt sich als ein geborgener Mann, so daß nach und nach eine kleine Colonie von Gutbestehenden anwuchs,

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/265&oldid=- (Version vom 31.7.2018)