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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Kümmelkuchen zu der Milchsuppe, und statt des kleinen Extrabrödchens, das sonst für Küngolt sorglich gebildet und gebacken werden mußte, daß es in seiner Gestalt den großen Broden gleich sah, waren heute zwei gemacht worden und das Mädchen ruhte nicht, bis Dietegen das vollkommenere gewählt hatte. Er aß ohne Schüchternheit alles, was man ihm gab, wie wenn er von fremden bösen Leuten in das Vaterhaus zurückgekommen wäre. Aber er war ganz still dabei und besah sich fortwährend die freundliche milde Frau, die helle Stube und die stattlichen Geräthe; als er gegessen, setzte er diese Betrachtungen fort, denn die Wände waren mit Tannenholz getäfert und mit buntem Blumenwerk übermalt und in den Fenstern glänzten zwei gemalte Scheiben mit den Wappen des Mannes und der Frau. Als er auch das Buffet mit dem blanken Zinngeschirr aufmerksam beschaut, erinnerte er sich plötzlich des schmutzigen Silberkännchens, das ihn in's Unglück gebracht, und der unfreundlichen Bettelvogtswohnung, und in der Meinung, er müsse wieder dahin zurückkehren, sagte er ängstlich: Muß ich jetzt wieder nach Haus gehen? Ich weiß den Weg nicht!

Den brauchst Du auch nicht zu wissen, sagte die Mutter gerührt und streichelte ihm das Kinn; hast Du noch nicht gemerkt, daß Du bei uns bleiben

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/307&oldid=- (Version vom 31.7.2018)