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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Schaalen und Hörner in Gold und Silber leuchteten, saßen einige Jungfrauen, auserwählt, die Kränze an die gekrönten Sängerfahnen zu binden.

Oder vielmehr dienten sie der Schönsten und Größten unter ihnen zum Geleit, der schönen Justine Glor von Schwanau, welche sich mit vieler Mühe hatte erbitten lassen, das Anbinden der Kränze zu übernehmen. Sie sah auch aus wie eine Muse; in reichgelocktem braunem Haar trug sie einen frischen Rosenkranz und das weiße Gewand roth gegürtet.

Aller Augen hafteten an ihr, als sie sich erhob und den ersten Kranz ergriff, welcher soeben den Seldwylern unter Trompeten- und Paukenschall zugesprochen worden war. Zugleich sah man aber auch den Jukundus, der unversehens mit seiner Fahne vor ihr stand und in frohem Glücke lachte. Da strahlte wie ein Widerschein das gleiche schöne Lachen, wie es ihm eigen, vom Gesichte der Kranzspenderin, und es zeigte sich, daß beide Wesen aus der gleichen Heimat stammten, aus welcher die mit diesem Lachen begabten kommen. Da Jedes von ihnen sich seiner Eigenschaft wohl mehr oder weniger bewußt war und sie nun am Anderen sah, auch das Volk umher die Erscheinung überrascht wahrnahm, so errötheten beide, nicht ohne sich wiederholt anzublicken, während der Kranz angeheftet wurde.

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/387&oldid=- (Version vom 5.7.2016)