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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

konnte jene insofern schon die alte Stauffacherin nennen, als die schöne, gute Justine in ihrer vollsten Lebensblüthe stand und ihr nichts mehr fehlte zur Würde und Uebung eigenen Stauffacherthums, als ein für die Geschicke des Landes in Sorgen stehender Gemahl.

Daß ein solcher nicht schon vorhanden war, lag in den seltsamen Geschicken, welche gerade ausgezeichnete Jungfrauen so oft zu Jahren kommen lassen wegen der scheinbaren Kälte, für welche ihre edle Ruhe gehalten wird, wegen der eifersüchtigen Hut, deren sie sich seitens der Ihrigen erfreuen, und vor Allem auch durch Wahrung des größeren Rechtes, das sie besitzen, nur auf die Stimme des Herzens zu achten.

Endlich kam aber ein schöner Abend über das Gebirge und mit ihm langte Jukundus an, und zwar, da er aus einem Feldlager kam und nur wieder in ein anderes gehen mußte, in militärischer Tracht, mit etwas Roth und mit etwas Gold am dunkeln Kleide. Nachdem er sich erfrischt und genugsam mit der Mutter geplaudert hatte, ging er ahnungslos mit ihr spazieren und sie lenkte den Weg dahin, wo sie die beiden Schwanauerinnen wußte, durch das Gehölz auf einen einsamen Felsvorsprung, der mit Sitzen und Geländern versehen war, hoch über einer blauenden Thaltiefe.

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/400&oldid=- (Version vom 31.7.2018)