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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Ahornholze, die weißen reinlichen Brodteller und die zinnernen Weinkannen verbannt und silberne Kelche, Platten und Schenkkrüge vergabt bei jedem Familienereigniß in reichen Häusern, auf Justine's Betreibung hin, deren reichstolzes Gemüth sich an dem Glanze erfreute, nicht fühlend, daß sie der neuen Kirche zur Grundlage eines artigen alten Kirchenschatzes verhalf, der sich ja jeden Tag still aber beharrlich vermehren und auch den Aeckern und Weinbergen und dem Zehnten von jeder Hand Arbeit wieder locken konnte, zumal ein leerer Tabernakel noch mehr Platz hat, als ein besetzter.

Schon waren alle Künste, selbst die Bildhauerei mit einigen übermalten Gypsfiguren, vertreten, ausgenommen die Musik, welche daher eiligst herbeigeholt wurde. Weil zu einem Orgelwerk die Mittel noch nicht beisammen waren, stiftete Einer einen trompetentönigen Quiekkasten; ein gemischter Chor studirte kurzer Hand alte katholische Meßstücke ein, die man der erhöhten Feierlichkeit wegen und weil Niemand den Text verstehen konnte, lateinisch sang. Dieser Chor spaltete sich in verschiedene Abtheilungen; Kindergruppen wurden zugezogen und eingeübt, und unter dem Namen einer den Gottesdienst neu belebenden Liturgie wurde, nur versuchsweise, ein wackeres kleines Dramolet in Scene gesetzt, aus welchem sich mit der Zeit

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/449&oldid=- (Version vom 31.7.2018)