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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

Gib, daß er das Land der Unvergänglichkeit suche mit der Sehnsucht der götheschen Priesterjungfrau, die da sagte:

Und an dem Ufer steh' ich lange Tage,
Das Land der Griechen mit der Seele suchend!

daß er einst mit der sterbenden Blume des Dichters singe:

Ew'ges Flammenherz der Welt,
Laß verglimmen mich an dir!
Himmel, spann' dein blaues Zelt,
Mein vergrüntes sinket hier.
Heil, o Frühling, deinem Schein!
Morgenluft, Heil deinem Weh'n!
Ohne Kummer schlaf' ich ein,
Ohne Hoffnung aufzusteh'n.

und ihm die Antwort werde:

O bescheidenes Gemüth,
Tröste dich, beschieden ist
Samen Allem, was da blüht.
Laß den Sturm des Todes doch
Deinen Lebensstaub verstreu'n,
Aus dem Staube wirst du noch
Hundertmal dich selbst erneu'n.

Amen!"

Hatte er dermaßen wohlklingend und nicht selten mit wirklich feuchten Augen, von seinem Galimathias selbst aufgeregt, geendet, so geschah es häufig, daß auf dem Kirchwege die Zuhörer herbei eilten und ihm

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/454&oldid=- (Version vom 31.7.2018)