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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

erweckten eine je länger je heftiger gereizte Stimmung gegen sich. Da sie aber die Geschäfte sachlich und redlich besorgten und alle Mühe auf allerlei Dinge verwendeten, welche an sich keineswegs wie Rückschritt aussahen, so war der Anfang zu einer großen Aktion schwer zu finden. Denn wenn das Volk hiebei nicht den Anstoß zu gewaltsamen Ereignissen gewinnt, woraus an einem Tage von selbst das Gewünschte sich gestaltet, so bedarf es einer ungeheuren moralischen Aufregung, um auf dem Wege der gesetzlichen Ordnung zu seinem Ziele zu gelangen und eine selbstgegebene Verfassung, selbstgewählte Vertreter zu beseitigen und an deren Stelle das Neue zu setzen.

Diese Aufregung, welche bei der gewaltsamen Umwälzung durch einige Tropfen rauchenden Blutes hervorgebracht wird, erreicht das Volk auf dem anderen Wege, um schlüssig zu werden, nur dadurch, daß es das erste Unrecht begeht mittelst einer falschen Anschuldigung und sodann getreu dem Satze, daß der Unrechtthuende den leidenden Theil mit wachsendem Hasse verfolgt, nicht mehr ruht, bis der Stein des Anstoßes hinweggeräumt und der neue Rechtsboden, den es will, errungen ist.

Aber auch zu einer vollen runden Hauptanschuldigung, welche für solch' eine allgemein um sich greifende Gemüthsbewegung ausgereicht hätte, fand sich

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/466&oldid=- (Version vom 31.7.2018)