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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

keine rechte Handhabe vor. Jedes einzelne der unerfüllten Begehren war nicht eine Frage der Unehrlichkeit oder des Volksbetruges, sondern nur eine Frage der Zweckmäßigkeit, welche bestritten war.

Da aber ein Volk oder eine Republik, wenn sie durchaus Händel suchen mit ihren Führern und Verwaltern, nicht auf die Dauer wegen des Anfanges verlegen sind und immer neue Mittel erfinden, so stellte man sich zuletzt einfach vor die Personen hin und sagte: Euere Gesichter gefallen uns nicht mehr.

Dies geschah mittelst einer dämonisch seltsamen Bewegung, welche mehr Schrecken und Verfolgungsqualen in sich barg, als manche blutige Revolution, obgleich nicht ein Haar gekrümmt wurde und kein einziger Backenstreich fiel.

Es entstand zuerst ein Ausspotten einiger nicht bedeutender Personen an irgend einem Punkte, dann ein Verhöhnen einiger Anderer, die schon mehr Bedeutung hatten, wegen halb lächerlicher, halb unzukömmlicher, immerhin entstellter Eigenschaften. Eine spott- und verfolgungslustige Laune verbreitete sich mehr und mehr, es bildeten sich Anführer und Virtuosen im Hohn urid der Entstellung aus, und bald verwandelte sich der lustige Spott in grimmige Verläumdung, welche umherraste, die Häuser ihrer Opfer

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/467&oldid=- (Version vom 31.7.2018)