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Sein und Zeit

und idealisierenden Gespenster verscheuchend – mitten hinein und zurück in eine wahre kosmologische und gottgetragene Welt“ führen konnte. Er setzt „das Sein zunächst und zuerst in seine vollen und ganzen Rechte ein“, wenn auch nur an einer Stelle: am Ich. Er bestimmt das Sein des Ich dadurch, daß es sich auf das Sein versteht. Damit ist der Weg freigemacht, um – unbeirrt durch die kritische Frage, wie das erkennende Ich über sich selbst hinaus gelangen könne – dieses zum menschlichen Sein selbst gehörige Seinsverständnis auszuschöpfen und so nicht nur das eigene Sein, sondern auch das Sein der Welt und das alles geschöpfliche Sein begründende göttliche Sein zu fassen. Statt dessen wird das Ich auf sich selbst zurückgeworfen.

Heidegger begründet sein Ausgehen von der Analyse des Daseins damit, daß man nach dem Sinn des Seins nur ein Seiendes fragen könne, zu dessen Sinn ein Seinsverständnis gehöre. Und weil das Dasein nicht nur für sein eigenes Sein Verständnis habe, sondern auch für andersgeartetes, darum müsse man mit der Daseinsanalyse beginnen. Folgt aber nicht aus dem Begründungssatz gerade das Entgegengesetzte? Weil der Mensch nicht nur für sein eigenes Sein, sondern auch für andersartiges Verständnis hat, darum ist er nicht auf sein eigenes Sein als den einzig möglichen Weg zum Sinn des Seins angewiesen. Gewiß muß man das eigene Seinsverständnis befragen, und es empfiehlt sich, vom eigenen Sein auszugehen, weil damit das Seinsverständnis an seiner Wurzel bloßgelegt und kritische Bedenken von vornherein abgeschnitten werden können. Es besteht aber durchaus die Möglichkeit, vom dinglichen Sein oder vom ersten Sein auszugehen. Man wird von daher keinen hinlänglichen Aufschluß über das menschliche Sein erhalten, sondern nur Verweisungen darauf, denen man nachgehen muß; umgekehrt gibt uns auch das menschliche Sein nur Verweisungen auf andersgeartetes Sein, und wir müssen dieses selbst befragen, wenn wir es verstehen wollen. Freilich wird es nicht so antworten, wie ein Mensch antwortet. Ein Ding hat kein Seinsverständnis und kann nicht über sein Sein reden. Aber es ist und hat einen Sinn, der sich in seiner äußeren Erscheinung und durch sie ausspricht. Und diese Selbstoffenbarung gehört zum Sinn des dinglichen Seins.

Das kann Heidegger nicht zugeben, weil er keinen vom Verstehen unterschiedenen – wenn auch darauf bezogenen – Sinn anerkennt,

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/113&oldid=- (Version vom 31.7.2018)