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Die Seelenburg

die Herrlichkeit Gottes und Verlangen zu tragen nach immer größerer Verherrlichung der göttlichen Majestät?

Will der Herr, daß der Verstand seine Tätigkeit einstelle, so beschäftigt er ihn in anderer Weise. Er verleiht ihm alsdann ein Licht, welches alles, was wir (mit unserer natürlichen Erkenntnis) erreichen können, so weit übertrifft, daß er, von Staunen hingerissen und ohne zu wissen wie, viel besser unterrichtet wird als durch alle unsere Anstrengungen, die nur dazu beitragen, ihn mehr zu verwirren …“[1] „… Eine Seele, die der Herr in diese Wohnung versetzen wollte, kann nichts Besseres tun als… ohne alle Gewalt und ohne alles Geräusch das Nachdenken einhalten, nicht aber den Verstand oder das Denkvermögen aufzuheben suchen …“[2]

Die Wirkung dieses Gebetes ist „eine Erweiterung oder Ausdehnung in der Seele, wie wenn das aus einer Quelle strömende Wasser, das keinen Abfluß findet, die Einfassung der Quelle, die aus einem dehnbaren Stoff gearbeitet ist, in dem Grade ausdehnt, in welchem die Wassermasse sich vergrößerte“[3].

Während die Seele im Gebet der Ruhe „wie im Traum“ ist, weil sie „wie eingeschlummert zu sein scheint, sodaß sie weder recht schläft noch auch sich wach fühlt“, ist sie in der fünften Wohnung, im Gebet der Vereinigung „ganz wach für Gott, für die Dinge dieser Welt aber und für sich selbst ganz eingeschlafen; denn während der – freilich nur kurzen – Dauer[4] der Vereinigung ist sie wie von Sinnen, sodaß sie, auch wenn sie wollte, an nichts denken kann. Darum braucht sie auch das Denken nicht künstlich zu unterdrücken; hier liebt sie nur, weiß aber, wenn sie liebt, nicht einmal, wie sie liebt, noch was das ist, was sie liebt, noch was sie möchte. Kurz, die Seele ist hier der Welt ganz abgestorben, um desto mehr in Gott zu leben“. Der Leib ist wie leblos, die Kräfte der Seele ruhen. „Der Verstand möchte sich ganz damit beschäftigen, etwas von dem, was die Seele hier empfindet, zu begreifen; weil aber seine Kräfte dies nicht vermögen, ist er von Staunen so hingerissen, daß er, wenn er sich nicht ganz verliert, doch wenigstens weder Fuß noch Hand bewegt, wie wir von einem Menschen sagen, der von einer so schweren Ohnmacht befallen ist, daß wir meinen, er sei tot“[5]. „… Hier


  1. a.a.O. S. 89 f.
  2. a.a.O. S. 90.
  3. a.a.O. S. 92.
  4. a.a.O. S. 113 sagt die Heilige, es dauere wohl nie eine halbe Stunde.
  5. a.a.O. S. 101.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/46&oldid=- (Version vom 31.7.2018)