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Darstellung der hl. Teresia von Jesus

kann weder Einbildungskraft noch der Verstand noch das Gedächtnis der Seele in ihrem Genuß hinderlich sein“.

Auch der böse Feind vermag hier nicht mehr einzudringen, um ihr zu schaden. „Denn hier ist die göttliche Majestät mit dem Wesen der Seele so verbunden und vereinigt, daß jener ihr sich nicht zu nahen getraut, ja er wird nicht einmal erkennen, was hier in geheimnisvoller Weise in der Seele vorgeht. Kennt er, wie gesagt wird, nicht einmal unsere Gedanken, so ist es klar, daß er noch weniger ein Geheimnis erkennen wird, welches Gott auch nicht unserem eigenen Verstande anvertraut … Daher bleibt der Seele ein so großer Gewinn, weil Gott in ihr wirkt, ohne von jemand, ja ohne von uns selbst gehindert zu werden“[1].

Während der kurzen Dauer der Vereinigung versteht die Seele nicht, was mit ihr geschieht. „Aber Gott drückt sich selbst der Seele in einer Weise ein, daß sie, wenn sie wieder zu sich kommt, durchaus nicht zweifeln kann, sie sei in Gott und Gott in ihr gewesen. Diese Wahrheit bleibt ihr mit einer solchen Festigkeit, daß sie dieselbe, auch wenn Gott jahrelang ihr diese Gnade nicht wieder erweist, doch nie vergißt und nie daran zweifeln kann…“[2] „… Die Seele hat dieses Geheimnis freilich nicht gesehen, als es in ihr vorging, aber nachher hat sie die Wahrheit desselben klar erkannt. Sie schaute es nicht in einer Vision, aber es bleibt ihr davon eine Gewißheit, die Gott allein geben kann“[3]. Die Heilige kam so auf dem Weg der inneren Erfahrung zu der Glaubenswahrheit, die ihr vorher unbekannt war: „daß Gott in allen Dingen ist durch seine Gegenwart, durch seine Macht und seine Wesenheit“, und daß dieses etwas anderes ist als das Innewohnen durch die Gnade.

Durch eigene Anstrengung in diesen Weinkeller[4] zu gelangen, ist völlig unmöglich. „Die göttliche Majestät muß uns hineinbringen und selbst eintreten in den Mittelpunkt unserer Seele“[5]. Aber die Seele ist doch imstande, aus eigener Kraft eine vorbereitende Arbeit dafür zu leisten.

Das wird erläutert durch das anmutige Bild des Seidenwürmleins: wie das kleine, starre Samenkörnchen durch die Wärme Leben gewinnt und anfängt, sich von den Blättern des Maulbeerbaums zu


  1. a.a.O. S. 102 f.
  2. a.a.O. S. 105 f.
  3. a.a.O. S. 106.
  4. Hohes Lied, 2, 4.
  5. Seelenburg, S. 108.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/47&oldid=- (Version vom 31.7.2018)