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Sein und Zeit

bedeutet weder, daß es eine Stelle im objektiven Raum habe noch einen Platz wie ein Zuhandenes. Sie ist bestimmt durch Entfernung und Ausrichtung. Entfernung (d.i. Aufhebung der Ferne) bedeutet, daß es sich Zuhandenes in die gehörige Nähe bringt. Ausrichtung besagt, daß es Richtungen in der Umwelt hat (rechts, links, oben, unten usw.) und alles Räumliche begegnet. Dabei ist zunächst noch nicht der Raum abgehoben. Der Raum ist weder im Subjekt noch ist die Welt in ihm als einem zuvor Vorhandenem. Er gehört zur Welt als etwas sie mit Aufbauendes. In einer Einstellung des Daseins, in der es die ursprüngliche Haltung des Besorgens aufgegeben hat und noch betrachtet, kann er für sich zur Abhebung gebracht und als reiner homogener Raum gesehen werden.

Das Wer des Daseins ist keine vorhandene Substanz, sondern eine Existenzform. „... Die Substanz des Menschen ist nicht der Geist als die Synthese von Seele und Leib, sondern die Existenz[1]. Zum Dasein gehört ein Mitsein von andern Seienden, die auch die Form des Daseins haben. Das ist nicht ein Vorfinden von anderen vorhandenen Subjekten, sondern ein Miteinandersein, das für ein Kennenlernen und Verstehen (Einführung) schon vorausgesetzt ist. Zum Seinsverständnis des Daseins gehört das Verstehen anderer. „Dieses Verstehen ist, wie Verstehen überhaupt, nicht eine aus Erkennen erwachsende Kenntnis, sondern eine ursprüngliche existentiale Seinsart, die Erkennen und Erkenntnis allererst möglich macht“[2]. So ist Dasein von vornherein Mit-dasein-in-der-Welt. Sein Subjekt – und das Subjekt des alltäglichen Daseins überhaupt – ist nicht das eigene Selbst, sonder ein Man: es ist nicht eine Summe von Subjekten, auch nicht Gattung oder Art, sondern – ebenso wie das eigentliche Selbst, das durch das Man zunächst verdeckt wird – ein wesenshaftes Existential.

Nach der Klärung der Welt und des Wer kann nun das In-Sein noch besser erfaßt werden. Dasein heißt da sein, und das bedeutet einmal ein Hier- zu einem Dort-sein: Erschlossenheit für eine räumliche Welt; es bedeutet ferner „für es selbst da sein“. Diese Erschlossenheit wird als Sinn der „Rede vom lumen naturale im Menschen“ in Anspruch genommen: sie „meint nichts anderes als die existential-ontologische Struktur dieses Seienden, daß es ist in der


  1. Sein und Zeit, S. 117.
  2. a.a.O. S. 123.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/73&oldid=- (Version vom 31.7.2018)